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Schön!

Die Mode und die Exzentrik

Erklärungen – der Modeschöpfer Alessandro de Benedetti vor der Modenschau „mila schön milano“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 10. November 2016
Die Modewelt ist wohl ohne ein bißchen Exzentrik kaum vorstellbar. Umso mehr gilt dies für einen wagemutigen zeitgenössischen Modestil. Für die Mailänder Marke „mila schön milano“ proklamierte deren Modeschöpfer Alessandro de Benedetti für den Frühling und Sommer 2017: „Exzentrik ist das elegante Durcheinander, das eine Frauenmarke einzigartig macht.“ Den Entwürfen lag dann der Gedanke an die Geschichte einer modernen, bürgerlichen Frau zugrunde, die sich in einen Forscher verliebte, weil sie alles an ihm, den Charme seiner Kleidung inbegriffen, liebte. Das Ergebnis war die Kollektion „EXCENTRIQUE C’EST CHIC“, die sich konzeptionell in sieben Teile gliederte.

Erstens brachte ein konzeptionelles und visionäres Bild das Erbe der Modemarke dazu, eine Zukunft mit solider Schneiderei und exzentrischen Aspekten zu gestalten. Zweitens gab es für eine jugendliche Attitüde eine lebendige Dialektik zwischen dem Ballonkleide aus Serge de Nîmes und dem Parka aus raffinierten zweischichtigen Stoffen. Drittens bestand ein faszinierender Kontrapunkt zwischen dem langen Trenchcoat in schwerelosem Chiffon in dreien Grünnuancen und der Cabanjacke im Stile der Arbeitskleidung; ein Teil dieses Aspektes war auch ein Abendkleid in prächtiger Duchesseseide. Viertens gaben die Revers, die aufbrachen, sich umdrehten und sich gegenseitig spiegelten, den revolutionären Jumpsuits im Lichte eine Trompe-l’œil-Wirkung. Fünftens teilten Gurte die Stiefel logisch in bis zu achtzehn Farbblöcke auf, wo sich Rot, Orange, Sumpfgrün und Minzgrün abwechselten. Sechstens wirkten die spitzen Ballerinaschuhe mit natürlicher Gummisohle wie Espadrilles und erhielten so eine entschieden lockere Note. Siebtens harmonierte der glockenartige Klang der eisengrauen galvanisierten Juwelen mit der virtuosen Handhabung der Xylophonschlägel während der Modenschau am 26. September 2016 in der Veranstaltungsstätte „SPAZIOBERGOGNONE26“ und gewährleistete so ein anspruchsvolles Tempo der Bewegungen.

Die Kollektion „COMING OF AGE“ des Modeschöpfers Salvatore Piccione aus Sizilien enthielt einen gezielten Verweis auf das Buch „The Virgin Suicides“ des amerikanischen Schriftstellers Jeffrey Kent Eugenides aus dem Jahre 1993 und auf den gleichnamigen Spielfilm der amerikanischen Regisseurin Sofia Carmina Coppola aus dem Jahre 1999, wo die fragile Glaswelt vierer Jugendlicher durch die Wünsche ihrer Eltern, sie zu bewahren, irreparabel geknackt ist. Nach der Intention des Modeschöpfers sollten es die Mädel in der Wirklichkeit mit Hilfe seiner Kollektion bestenfalls schaffen, ihren eigenen Weg in die Welt zu finden und sie nicht abzulehnen; deren eigene Dimension zwischen Unschuld und Wirklichkeit sollte so einen endgültigen Status in ewiger Vollkommenheit erreichen. In farblicher Hinsicht erinnerte die Kollektion, tonal und mit Kontrasten, der Bilder des britischen Photographen Timothy Walker (Tim Walker), die es geschafft hatten, das kindliche Wunder durch das Abbilden einer schönen, aber illusorischen Welt zu veranschaulichen, das heißt in der Wahrnehumg angenehm, doch künstlich.

Um zeitgenössische weibliche Stereotypen offenzulegen, hatten Spitze, Lochstickerei (Broderie anglaise), sonstige Stickerei und Drucke eine „frenetische Delikatesse“. Digitale Drucke, für die Modemarke typisch, waren hier durch die kalte Logik der Rechner geschaffene, romantische Unterwasserdarstellungen; auf kostbare Materialien wie Chiffon oder Satinseide gelangte so das Thema der Evolution, Veränderung, Bewegung in Richtung auf die Welt der Erwachsenen. Die durch Spitzenbesatz gegliederten Stückteile waren bedruckt, bestickt und endlich durch Fransen aufgeweicht. Die Palette zarter Farbtöne von Pfirsichrosa über Pastellrosa, Zitronengelb, Minzgrün, Himmelblau und Lila bis zu Cremeweiß unterstützte visuell die Fusion verschiedener Stoffschichten. Hohe Sandaletten mit Knöchelriemchen und Seemannshüte rundeten das Bild der in der Veranstaltungsstätte „Spazio Riva“ beziehungsweise „Spazio Savona 56“ präsentierten Kollektion ab.

„Weniger ist mehr“ lautete das Credo des Mailänder Modeschöpfers Lucio Vanotti für seine Kollektion „Untitled n.1“, die er in der Veranstaltungsstätte „Spazio Riva“ beziehungsweise „Spazio Savona 56“ vorstellte. Die Multiplikation von Möglichkeiten, die sich aus der besagten Erkenntnis ergaben, erforschte er nun einmal mehr. Reisen war daneben für ihn eine Gelegenheit, sich zu reinigen und zurückzunehmen. Die bloße Schönheit eines japanischen Ryokans war die Szene, in der sich der Osten und der Westen in einer klaren und rhythmischen Weise überschnitten und eine freie Kleidung schufen. Jacken und Trenchcoats waren wie maskuline Kimonos geschnitten. Die Linien reagierten auf das grundlegende menschliche Bedürfnis, sich zu schützen, zu bedecken und einzuwickeln. Schurze und Stoffbahnen fragmentierten die Senkrechte der Silhouette. Rechteckige Stoffbahnen wurden mit Ripsbändern geschlossen.

Ein „Aufblasen“ erfolgte bei den Details. Fließendes Strickgewebe brachte große Manschetten hervor. Pullover in Maxigröße verwandelten sich in Capes. Der Knöchel- oder Taillenbund an den Hosen kam wie eine Hemdmanschette daher. Nadelstreifen und von den Buren inspirierte breite Streifen ergaben ein rhythmisches Muster. Praktische Materialien wie Drill, heller Serge de Nîmes und gewebtes Segeltuch wurden mit fließfähigen Materialien wie Baumwolle für Hemden, Viskose, Seide und Mako-Jersey gemixt. Die Farbpalette war mit himmelblauen, staubgrünen und beigefarbenen Schattierungen auf einer schwarzen und weißen Basis sehr natürlich. Slipper waren das bevorzugte Schuhwerk. Handtaschen hatten die Gestalt von Einkaufsbeuteln oder Müllbeuteln (Bin Bags). Die Accessoires betonten die heimische Note der Kollektion, indem mit Patenttexturen in Schwarz oder Weiß gespielt wurde.


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