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Gaia Trussardi, Theodor W. Adorno und die Pop-Kultur

Mode zur Vereinigung der Welten

Poppige Eleganz beziehungsweise eleganter Pop – die Modenschau „TRUSSARDI“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 8. November 2016
Modeschöpfer sind vielseitig. Der Pariser Modeschöpfer Karl Lagerfeld entwirft Theaterkostüme, gestaltet Mobiliar und photographiert nebenher. Komponieren ist hingegen ein weiteres Metier der Mailänder Modeschöpferin Gaia Trussardi. Für ihre Modenschau am 25. September 2016 im Palazzo Serbelloni schuf sie drei verschiedene Melodien, die im kanonischen Stile nach einer Theaterdarbietung des italienischen Schauspielers Adriano Giannini aufgeführt wurden und sich wie in einem Musical zu einer klangvollen Krasis verbanden.

Im Hinblicke auf die Kollektion für den Frühling und Sommer 2017 waren Gaia Trussardis Inspirationsquellen philosophisch und populär. Auf der einen Seite stand der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno mit seiner Kritischen Theorie, auf der anderen Seite der australische Regisseur Mark Anthony Luhrmann (Baz Luhrmann) mit seinen filmischen Meisterwerken „WILLIAM SHAKESPEARE'S ROMEO + JULIET“ und „MOULIN ROUGE“ sowie seiner aktuellen Fernsehserie „THE GET DOWN“. Aufs neue nutzte Gaia Trussardi die Mode als universellen Dialog, um Welten, Kulturen und Fragen zu den Konsequenzen der postmodernen Zeit zu vereinen. Sie brachte die feine Eleganz der italienischen vornehmen Gesellschaft als ästhetischen Markenkern mit den dissonanten, oft mißverstandenen Elementen der Gegenkulturen und der digitalen Moderne zusammen, und zwar so, „wie ein Rap-Song Vergangenheit und Gegenwart mit einem frenetischen Beat vermischt“. Farblich ging die Modeschöpferin auf Konfrontationskurs; die ruhigen, minimalistischen Töne der späten 1970er Jahre kollidierten mit den glänzenden, schillernden Tönen der 1980er Jahre.

Statt Wolle verwandte Gaia Trussardi für den neuen „Pop-Anzug“ Shantungseide und Seidengaze, worauf Logomotive gedruckt waren. Übergroße Jacken aus glänzendem Leder in leuchtenden Farbtönen oder aus Wildleder in dezenten, staubigen Schattierungen fielen über Bleistiftröcke oder über kegelförmige Jeanshosen mit hoher Taille. Serge de Nîmes glänzte mit silbernen, laminierten Elementen, die einen Craquelé-Effekt hatten. Logodrucke herrschten auch hier vor. Das flache Zopfmuster von Country-Club-Strickwaren verwandelte sich auf übergroßen Hosen in eine Ausformung des Ghettostiles. Die Kollektion enthielt ebenfalls Leggings aus Lurex mit den graphischen Drucken, die Trainerhosen ähnelten. Um mehr klassische Stücke als festigenden Rahmen der Kollektion zu haben, fand Pythonleder in Farbtönen der Pop Art Verwendung. Das Schuhwerk bestand unter anderem aus Loafers in Karreeform. Ein mehrfarbiges ledernes Patchworkmotiv zierte demgegenüber die Absätze der Stiefel. Die für die Modemarke „TRUSSARDI“ ikonische Handtasche namens „Lovy Bag“ verblüffte das Publikum mit „Polka Dot“-Mustern, Logodrucken oder buntem, glänzendem Leder. Der Schmuck, den die junge Schmuckgestalterin Maria Vittoria Paolillo aus Rom eigens für diese Kleidungskollektion entworfen hatte, fügte sich darin vollkommen ein. Gaia Trussardis Konzept ging auf; in der Tat war ihre neue Kollektion „hybrid“, da sie sowohl elegant als auch poppig war.

Die Modeschöpferin Laura Poretti präsentierte als kreativer Kopf der seit dem Jahre 1991 bestehenden, für eine Ästhetik der mühelosen Eleganz und des zeitlosen Luxus stehenden Mailänder Marke „PIAZZA SEMPIONE“ im Hofe des Palazzos Bocconi eine Kollektion mit einem femininen und zugleich wandlungsfähigen Aussehen, deren schneidertechnische Verfeinerung das Gefühl einer „modernen Weltstadtsafari“ hervorrief. Frische, fließende Stoffe reichten von reiner Baumwolle über Leinen bis zur sehr leichten Schurwolle. Wenn sie keine Streifenmuster hatten, waren sie einfarbig, und zwar mehrheitlich weiß, sonst kartäusergelb oder auberginenblau. Geprägte Rippen sowie mehrfarbige Einlagen und Applikationen verzierten die Stoffe. Für die Leichtigkeit zeitgemäßer Kleidung verfeinerten strohartige Jacquard-Muster und präzise Falten die Formen und Volumen. Weiche und kompakte Silhouetten ermöglichten gleichermaßen einen spontanen Umgang mit den Kleidungsstücken.

Eines der wichtigsten Stücke der Modemarke war seit jeher die Hose. Nunmehr kamen die Hosen schmal als Röhrenhosen oder breit als Palazzohosen daher, um unter glatt geschnittenen Kitteln oder tief ausgeschnittenen Shirts getragen zu werden. Die Kleider in unterschiedlichen Längen waren weit wie eine Korolle. Das Ensemble als Neuinterpretation des Pyjamaanzuges setzte sich aus Jacke und langer Hose oder aus Jacke und ausgebeulten Shorts zusammen. Mit doppelendigen Hakenstichen beziehungsweise Trapuntonähten gefertigte Kimonogürtel hielten diese Kleidungsstücke nicht nur auf der Taille, sondern setzten ihnen gegenüber auch andersfarbige Akzente. Das immergrüne Blattwerk der Kentia-Palmen zwischen dem Mauerwerke und den Modellen deutete stets trefflich auf die Spannung zwischen urbanem Rhythmus und natürlicher Schwingung hin.

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