Alles in Ordnung – der Modeschöpfer Zuhair Murad und das Mannequin Antonina Petković vor der Modenschau (Bild: Christian Janssen)
In Zuhair Murads nomadischen Träumen existierte derweil eine Herrscherin, deren Extravaganz ihr Kaiserreich, deren Überschwenglichkeit ihr Königreich und deren Spontaneität ihre Domäne waren. Sie machte sich unter dem Motto „Boho Rapture“ auf den Weg in ein Bohemienleben, wobei sie das Gestrige und das strahlende Heutige mit einem aus Sinnlichkeit lebendigen „Happy Hippie-Chic“ vermischte. Eine souveräne Freiheit des Stiles und der Bewegung durchzog die Kollektion für den Herbst und Winter 2016/2017. Es galt den Kopf hoch zu tragen. Hervorgehobene Taillen, erhöhte Schultern, ausgebildete Rücken, sichere Schnitte bei Ornamenten, kühne Transparenz, charismatische Capes, lange und kurze Linien bei den Roben, stolze Schleppen, erhabene Volants in Calypsogestalt, eine Vielzahl gespreizter oder schwebender Glockenärmel, raffinierte Kragen sowie geräumige Jumpsuits wie auf der Flucht einer legendären Karawane waren dafür die Garanten.
Rock, Pluderhose, Kaftan, osmanischer Mantel, Bauernbluse und Schal nach Zigeunerart trafen auf breitkrempige Filzhüten, Ledergürtel und Hundehalsbänder als rebellischen Accessoires. Zuhair Murad erreichte hier einen sexy Maximalismus dank besonderer Materialien und nonkonformistischer Dekors. Kaukasische und persische Motive kamen hinzu. Der Jugendstil in der Handschrift des Wiener Malers Gustav Klimt sowie Flora und Fauna in orientalischer Manier prägten Samt, Seidenkrepp, Dupionseide, Tüll, Chiffon und Jacquardgewebe. Die Modernität der Mischungen beinhaltete Spuren der Tradition. So bereicherten Crêpe Satin, Chantilly-Spitze, Stickerei, Makrameeornamentik, Plattstich, Handgemälde, Straußenfedern, Pailletten und Perlen in Hülle und Fülle die Kleidungsstücke. Die Farbenpracht mit den Tönen Lila, Irisblau, Meisenblau, Lindgrün, Geißblattgrün, Amaranthrot, Rosenholzbraun, Schwarz und Antikgold trug das ihrige zur Veredelung bei. Dies alles ergab die vollendete Ausstattung beispielsweise für eine nächtliche Cocktailparty. Nichts war zu pompös für Zuhair Murads neue, internationale „Gypsetteuse“.
Im Hotel „Ritz PARIS“ zeigte der Römer Modeschöpfer Antonio Grimaldi die Stücke seiner Kollektion „ICARUS“ an Schaufensterpuppen. Der sagenhafte Ikarus als Namensgeber gab das Kollektionsthema an, denn es ging um den Traum vom Fliegen, welchem die Romantik als Konstante beigegeben war. Die Kleider waren regelrechte Skulpturen, die deshalb tragbar waren, weil Organdy den zweifachen Seidencady verstärkte, um Volumen zu erzeugen und der Silhouette Struktur zu geben. Dreifacher Organdy in verschiedenen Farben, von hellem Grau bis zu Lila, wirkte in allen Fällen wie ein Spiegel. Einlagen aus Seidencady auf dem Seidentülle ließen die Haut durchscheinen, während eine reiche Kristallstickerei die Tuche und ihre Texturen spielerisch zusammenzuhalten schien. Die handgemalten Straußenfedern bildeten einen zweigliedrigen Gegensatz zur neuen Regel bei den Formen und Linien, die trotz der Zugabe reicher Kristallperlen in der Stickerei scharf blieben. Bei Tüllfedern sowie bei lamierten und versilberten Lederfäden ließ die Stickerei aus dicken Garnen an die Stoffgewebe denken. Bei lasergeschnittenen Tuchen und handgemachten Fil-Coupé-Intarsien mischten sich Technologie und Handwerk.
Die kalten, weichen Farben wie Eisblau, in Fliederton tendierendes helles Grau und in staubiges Rosa übergehendes Elfenbeinweiß erinnerten des Renaissancegemäldes „Landschaft mit dem Sturze des Ikarus“, dessen Komposition dem flämischen Maler Pieter Bruegel dem Älteren zugeschrieben wird. Daneben beeinflußten die sogenannten Abmalungen des Kölner Malers Gerhard Richter – der Realismus der Photographien als Vorlagen für Gemälde wird durch eine verwischt wirkende Unschärfe verfremdet – den Modeschöpfer. Der Prozeß reiner visueller Abstraktion vor der endgültigen Konkretisierung im Kunstwerke bestand bei Antonio Grimaldi darin, daß er die besagten Farben sorgfältig zerlegte, zusammensetzte und mischte, bevor er sie an den Materialien auf Dauer sichtbar machte. Ein Hingucker waren die geweiteten Röcke, die vorne zu Hosen in der Art eines Jumpsuits wurden und deren zusätzliche strukturierte Stoffbahnen Flügel symbolisierten. Antonio Grimaldi befaßte sich mit den Volumen in experimenteller Weise, so daß er die Silhouette für eine neue, die Kleider phantasievoll durchziehende Weiblichkeit neu zeichnete. Eine besondere Drapage sorgte ferner für Falten und Geometrien.
Die mythologische Liebesgeschichte um Apollo und Daphne war die Inspirationsquelle für die neue Kollektion, die der aus Saudi-Arabien stammende und in Beirut tätige Modeschöpfer Mohammed Ashi im Palais de Tokyo präsentierte. Stolz, Lust und Verlust bei der Jagd nach Daphnes Liebe waren die verzwickten Emotionen, die unter dem Motto „Apollo Chasing Daphne“ in die Kollektion einflossen. Mit einer hypnotisierenden Kombination mühelos geschaffener Strukturen und Materialmanipulation verwandelte Mohammed Ashi den lange ausgetragenen Kampf zwischen Begierde und Reinheit in Form zeitloser Kunst in eine ewige Suche nach Liebe. Die umgekehrt tulpenförmigen Silhouetten verkörperten das durch die Hitze der Leidenschaft verdunkelte Herz des Liebenden und spiegelten den Wesenskern der Blume wider. Schimmer und Glanz, von den Halsausschnitten bis zu den Säumen strahlend, verewigten das bei Amor ausgelöste Verlangen. Seine unerbittliche Lust zeigten dunkle Farben wie Schwarz und Aschgrau, hohe Ausschnitte und eine Lichtdurchlässigkeit der Stoffschichten an, während alle zusammen Daphnes Metamorphose zu einem reinen Lorbeerbaume andeuteten.