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Wir sind die Roboter

Mechanik in der Mode

Kontinuierliche Eleganz – die Modenschau „GEORGES HOBEIKA“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 4. August 2016
Gewisse Dinge haben Ewigkeitswert. Daher eignen sie sich immerfort als Themen für Modekollektionen. Friede, Liebe, Menschsein, Technizität, Leben und Tod gehören hierher.

Bei der Kollektion für den Herbst und Winter 2016/2017 setzte sich der libanesische Modeschöpfer Georges Hobeika mit der Tugend des Friedens auseinander; er dachte an hoch in den Sternenhimmel fliegende, sich in einem hellen Funkeln verbreitende sowie die Botschaft von Liebe und Harmonie verkündende Laternen. In der Kollektion selbst drückte sich eine solche Hoffnung durch das lebendige Glühen einer spektakulären Blüte aus einer Wolke zarter Spitze aus. Lotusblüten, mal aus Shantungseide bestehend, mal aus Kristallen und Perlen großflächig zusammengesetzt, zeigten, auf feine Stoffe wie metallische Spitze, Seidenorganza, Seidengaze und Seidenkrepp gestickt, die Opulenz ihres Laubes und vermittelten einen Eindruck von Fröhlichkeit und Einheit. Ihre ganze Pacht entfalteten sie an zweien Brautkleidern. Vornehme Farbtöne wie Purpurrot, Weinrot, Smaragdgrün und Azurblau belebten die Linien der Kleider und ergaben ein impressionistisches Gemälde mit leuchtenden Sternen bei zurückhaltender Dunkelheit. Manchmal markierten Knötchen die Kurven einer Silhouette. Stöckelabsatzpumps und Loafers, manchmal mit Blumen geschmückt, gingen einher mit lebhaften Blütenblättern auf einer Perlenspange als herrlicher Krone. Armbänder und Ohrringe versprühten Sinnlichkeit. Die am 4. Juli 2016 in der Schule der Medizin der Universität Paris Descartes präsentierte Kollektion wirkte so griffig, als wollte sie die Körper „unter dem Schwindel göttlicher Versuchung“ leibhaftig ergreifen.

Als die Modeschöpferin Lan Yu aus Peking in der chinesischen Provinz Shaanxi Gao Fenglian, die „beste chinesische Papierschnittkünstlerin“, besuchte, war sie von der Feinheit ihres Handwerkes, von der Liebe, die es ausstrahlte, und von den Allegorien, die es vermittelte, zutiefst beeindruckt. Diese Kunstform drückte von der Mythologie bis zum Alltäglichen ein Bewußtsein für das Leben und die Verewigung der Arten aus; es handelte sich um klassische Themen der chinesischen Philosophie, wo die unendliche Wechselwirkung zwischen „Yin“ und „Yang“ das Universum gebärt und einen Kreislauf fortwährender Erneuerung darstellt. Daneben stellte für Lan Yu wegen der Überlieferung von ihren Ahnen die Suzhou-Stickerei (Su Xiu) „die Kunst der Mütter“ dar. Traditionelle Künstler beobachten Lebewesen, um ihr Wesen zu erfassen und den Kosmos zu erforschen. Indem Lan Yu die altehrwürdigen Handarbeiten im Wissen um das von Generation zu Generation weitergegebene Können zusammenführte, verstärkte sie die Lebendigkeit traditioneller Kunstformen und bereicherte selbige zugleich. Die Kollektion „L’Art des Mères“ zeichnete sich durch einfache Umrisse und vielfältige Details aus.

Würdevolle weiße Federn schmückten cremeweiße, handbedruckte Seide. Tanzende Schmetterlinge und Vögel – flinke Finger hatten einfache Stücke roten Papieres schnittweise in Tiere verwandelt – breiteten ihre Flügel aus und gaben der Spitze ein Gefühl der Stärke. Wolle erschien erstmals in einer Kollektion Lan Yus, und zwar mit Blumenmotiven. Die Verarbeitung wie Nadelspitze (Guipure) machte die Wolle leichter und gab ihr mehr Textur. Spitze und Wolle verband Lan Yu, um ein visuelles und strukturelles Gleichgewicht zwischen Tradition und Moderne zu schaffen. Ein metallfarbener Mantel begleitete jedes Kleid, wobei natürliche Perlen die Ausschnittmotive zierten. Ein Umhang in schattigen Tönen, mit zehntausenden sorgfältig ausgewählten Perlen bestickt, ließ die Trägerin bei der Bewegung in verschiedenen Farben schimmern. Ohnehin unterstrichen pure Farben den Charme des Orientes. Weiches Lichtgrau, milchiges Jadeweiß, helles Grün und Rosa trafen aufs Lila eingelegter Perlen, während eine rote Halskette die Umrisse verlor und einen überraschenden Kontrast herstellte. Die fernöstliche Kultur manifestierte sich in der Schönheit der einzelnen Kleidungsstücke. Lan Yu erwies sich mit der am 3. Juli 2016 im Hôtel Salomon de Rothschild gezeigten Kollektion als redliche Botschafterin der vom Geiste der Freiheit, Unabhängigkeit und Eleganz erfüllten Frauen des Orientes.

Nachdem die Pariser Modeschöpfer Yassen Samouilov und Livia Stoianova am 3. Juli 2016 zwei Kollektionen ihrer gemeinsamen Marke „on aura tout vu“ auf der Veranstaltung „COUTURíSSIMO“ vorgestellt hatten, gab es am 4. Juli 2016 im Festsaale der Bürgermeisterei des 4. Arrondissements eine weitere Kollektion zu sehen. Inspiration für diese Kollektion war ein Zitat des amerikanischen Wissenschaftlers und Politikers Benjamin Franklin: „Die ganze Menschheit ist in dreien Klassen eingeteilt: solche Menschen, die unbeweglich sind, solche, die beweglich sind, und solche, die sich bewegen.“ Unter dem passenden Motto „MOUVEMENT PERPÉTUEL“ zeigte sich die Bewegung an röhrenförmigen Stickereien, fließenden Ärmeln und Schultern sowie facettenreichen Röcken. Glanz und Lichtdurchlässiges Weiß setzten sich vom tiefen Marineblau und Schwarz ab. Die überlagerten Bewegungen mischten die Farben durch. Ein Spiel mit Licht und Schatten kam hinzu; Melancholie entstieg der „Düsterkeit der Nacht“. Als Erweiterung der Kleider und Körper hatten ein paar Modelle am Halse oder Rücken aufgesetzte dünne Plastikarme mit Stacheln in T-Form, die den behaarten, gelenkigen Beinen von Gliederfüßern ähnelten und per Knopfdruck in Bewegung gesetzt werden konnten. Wie humanoide Roboter oder gar Androiden wirkten sie. Yassen Samouilov und Livia Stoianova setzten ihren Weg, Mensch und Technik zu vereinen, fort.

Der aus Dänemark stammende und in Amsterdam tätige Modeschöpfer Claes Iversen, ein Mensch der Kontraste und Doppelseitigkeiten, ließ am 3. Juli 2016 seine neue Kollektion in der in Weiß gehaltenen Suite „Montaigne“ der Veranstaltungsstätte „Salons Hoche“ von Mannequins vorführen, die sich in lockerer Atmosphäre unbeschwert unter die Besucher mischten. Authentizität, Reinheit und natürliche Qualität forderte er leidenschaftlich ein. Er schätzte das erdige Gefühl wahrer und ehrlicher Materialien. Die Applikationen waren unorthodox, die Kombinationen innovativ. Genauigkeit bei Paßformen und Schnitten garantierte eine feminine und zugleich jugendlich frische Silhouette. In der Kollektion herrschte Weiß vor. Für Akzente sorgten vorwiegend Pastelltöne. Ein schulterfreies, knielanges Kleid mit Netztextur war mit weißen und lila Blüten besät. Ein im Grunde weißer Hosenanzug war mit blutroten, rosa, narzissengelben, himmelblauen und blaßgrünen Blüten bedruckt. Das gleiche Motiv schmückte eine fast durchsichtige Bluse, deren Rüschen vom runden Halsausschnitte beide Ärmel entlang bis zu den Manschetten verliefen. Eine andere Bluse war da durchsichtig, wo sich keine Blüten in allen erdenklichen Rot- und Rosatönen befanden, und deshalb sehr verführerisch. Ein gerades, kurzes Kleid hatte ein feines Raster aus weißen Pailletten. Als Perfektionist achtete Claes Iversen auf eine Exzellenz bis auf den letzten Stich.


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