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Ballettträume

Tutus und Spitzenschuhe

Spiegelung – die Mannequins Deborah Valdez Hung und Daniela de Jesús Cosío vor der Modenschau „Yanina“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 6. Februar 2016
In den Entwurf einer Kollektion fließen nicht alleine von den Mitmenschen und der Umwelt gespeiste Ideen ein. Zuweilen hat eine Kollektion auch autobiographische Züge. Dies zeigte sich an der Couturekollektion der russischen Modeschöpferin Yulia Yanina für den Frühling und Sommer 2016, die sie am 26. Januar 2016 im Salon Impérial des Hotels „THE WESTIN PARIS“ vorstellte.

Im Zentrum der Kollektion stand das sanfte Bild eines jungen russischen Mädels, und zwar nicht mit ausgesprochener Schönheit, aber mit aristokratischer Haltung, Zurückhaltung, Intelligenz und romantischer Verträumtheit. Die Kollektion fußte auf einer starken kulturellen Basis: Literatur, Malerei und Ballett. So entstammte der Malerei eine diffuse, rauchige Farbskala mit sanften Übergängen. Das Ballett steuerte schwerelose Kleider und Bewegungen halbtransparenter Schichten bei. Aus der Literatur kamen die romantische Träumerei und die Klarheit der Bilder. Überdies zog sich die Leidenschaft der Modeschöpferin fürs Ballett durch jedes Detail der Kollektion. Schwerelose Kleider mit Haufen von Tutus und Hüte, wie sie die Tänzerinnen Anna Pawlowa und Ida Rubinstein in 1910er Jahren getragen hatten, waren ebenso zu sehen wie Stickereien, Schleier, Taft, Tüll und Samt. Für Yulia Yanina waren die Kleider wie von den Stengeln gefallene Blüten, so wie der Modezeichner Georges Barbier die Ballerina Anna Pawlowa in den 20er Jahren beschrieben hatte. Yulia Yanina mag Rußland und Frankreich gleichermaßen; sie schätzt sowohl die Malerei der französischen Impressionisten und französische Romane als auch russische Literaturklassiker und die Ballettchoreographien des russischen Impressarios Sergei Pawlowitsch Djagilew, insbesondere für das Stück „Die Jahreszeiten“.

Die historischen und ästhetischen Beziehungen zwischen Rußland und Frankreich wurden laut Yulia Yanina nicht zuletzt beim Farbspektrum von Perlgrau bis Pulverrosa sichtbar. Der Vogel hatte schon immer als Symbol eine große Bedeutung für Yulia Yaninas Modehaus gehabt. Bei dieser Kollektion ging es in Anlehnung an das Solotanzstück „Der sterbende Schwan“ mit den Tänzerinnen Anna Pawlowa und Maja Plisetskaja sowie an die Skizzen des russischen Porträtmalers Valentin Serow für das Ballett „Les Sylphides“ eben um den Schwan. Das zuerst gezeigte Stück der Kollektion war insofern ein weißes Ballettkleid mit weißen Federn und einem roten Rubinsteine am Herzen der Trägerin. Inspiration für das die Vorführung abschließende Hochzeitskleid – ein eleganter perlgrauer Stoff, ein silberner Schleier, eine Wolke von Schattierungen und Flügelstickereien – war in der Erinnerung der Modeschöpferin das Gemälde „Die Schwanenprinzessin“ des russischen Symbolisten und Jugendstilkünstlers Michail Alexandrowitsch Wrubel. Mit der Verankerung in der Zeit zwischen den Jahren 1900 und 1920 enthielt die Kollektion sogar Verweise auf die Geschichte, nämlich auf die Adelskultur vor den Revolutionen des Jahres 1917 und auf die auf diese Umbrüche folgende Emigration vieler Russen nach Westen. Zu guter Letzt freute sich Yulia Yanina, daß die „Ideale der Schönheit der Vergangenheit wieder aktuell“ seien.

In der hugenottischen Kirche Oratoire du Louvre brachte der Pariser Modeschöpfer Julien Fournié eine gemischte Kollektion auf den Laufsteg, denn es handelte sich zuerst um fünfzehn luxuriöse Prêt-à-porter-Stücke und zuletzt um siebzehn Couturestücke. Unter dem Motto „Premier Paradis“ brachte er dem Publikum anhand seiner Farbpalette den Reichtum des tropischen Regenwaldes mit dessen Früchten und Blüten näher: Orange, das Rosa der Drachenfrucht, das tiefe Violett der Mangustanfrucht, das intensive Grün der Philodendronblätter, das kräftige Rot der Eibischblätter (Hibiskusblätter) und verschiedene Schattierungen der Strelitziengewächse. Den ozeanischen Part mit dem beruhigenden Rhythmus der Wellen auf einem sandigen Strande übernahm das Meergrün, und zwar in der trendigen Tonvariante Lagune. Man brauchte sich nach der Intention des Modeschöpfers zu den tropischen Küsten und Wäldern nur noch Nelke, Amber und Vetiver mit ihren Düften sowie den Zauber der abenteuerlichen Melodien des Filmkomponisten John Barry hinzuzudenken, um die Idylle eines Urlaubsparadieses unter der Devise „Geheimnis und Wollust“ zu vervollständigen. Vorbilder für die opulente Haarpracht der Mannequins auf der Modenschau waren in diesem Sinne die Schauspielerinnen Jaqueline Bisset und Jacklyn Smith als Heldinnen in Abenteuerfilmen der 1960er und 1970er Jahre.

Graphische Drucke üppiger Regenwälder und Stickereien von Katzenaugen sollten die anwesenden Damen besonders ansprechen. Für Opulenz standen zwei Abendkleider, die vollständig mit bestickter Spitze aus der Fertigung der Manufaktur „Sophie Hallette“ bedeckt waren; der Widerstreit der Farben des ersten Kleides legte afrikanische Traditionen offen, während für die graphischen Verschönerungen des zweiten Kleides ein Feuerwerk als Inspiration gedient hatte. Für Leichtigkeit standen ein schwarzer, geraffter kurzer Rock und ein leicht gefaltetes Intarsientop mit Motiven des Philodendronblattes. Stil bewies eine hoch taillierte Gauchohose in Lila zusammen mit einer fließenden Bluse in Guavengelb. Im Hinblicke auf die Silhouette stachen zwei formschlüssige Etuikleider hervor, die sich trotz einem Satze aus einhundertzweiundsiebzig Knöpfen mühelos um die Körper zu wickeln schienen; das Geheimnis lag nicht nur im Fehlen der Nähte, sondern dazu trug auch das Prinzip der Orangenschale bei den Körperkurven bei. Ein charmant anliegendes Cocktailkleid aus weißem Leinen bildete den Rahmen für Drucke mit großen tropischen Blumen in Aquarellfarben.

Eine Kombination bestand aus einer Zigarettenhose und einer weichen Jacke mit drapierter Kreuzung; Papayagelb, zartes Orange und Lichtrot markierten an dieser Stelle das farbliche Spektrum. Eine andere Kombination schmeichelte der Weiblichkeit, indem eine Redingote in Form einer Baskenjacke auf ein Etuikleid traf, wobei indigoblauer Jeans und meergrüner Brokat für den Mantel die passenden Stoffe waren, während fuchsienroter Seidenkrepp dem Kleide vorbehalten blieb. Auch bei weiteren Gelegenheiten setzte Julien Fournié eine doppelte Falte auf der Brustseite und auf der Rückenseite ein, um bei der Kunst des Kleidermachens die Besonderheit taillierter Jacken für spektakuläre Abendroben zu übernehmen. Jacquardstoffe und 3D-Stickerei machten die aktuelle Kollektion zeitgenössisch. Von asiatischen Blüten in einer fragmentarischen Vision inspiriert, wurden die zweidimensionalen graphischen Motive in originaler Farbpaarung mit dreidimensionaler Metallstickerei verbessert. Als Ausschmückungen ersetzten sie lediglich in dieser Saison die übergroße Halsketten des Modeschöpfers. Hier und da verzierten Paradiesvögel, Blumen und Laub entweder als Tuch oder als matte Glasperlen einzelne Stücke der Kollektion. Mit einem bestickten Bolero getragen, wies das voluminöse Hochzeitskleid zum Abschlusse die gleichen auf Leinen gedruckten Orchideen und Palmen wie das Cocktailkleid zur Eröffnung auf. Dessen formvollendetes Oberteil, mit einem Schwarme Kristallsplittern gespickt, erleuchtete für eine erfrischende Wirkung kraft durchsichtiger Pailletten.

Der Pariser Modeschöpfer Stéphane Rolland befand sich in einer lyrischen Welt, wo jede Note mit dem Ausdrucke der Leichtigkeit und Frische abfließt. Seine Kollektion zeigte eine Frau an der Spitze ihrer Weiblichkeit und extremen Sinnlichkeit. Die Silhouette war anmutig, fließend, fast zerbrechlich wie ein Stern des Palais Garnier, während Stickereisplitter an den Putz der Place Vendôme denken ließen. Bei den für ihn typischen Hosenkombinationen spielte Stéphane Rolland mit Turnüren samt Schleppen und mit riesigen Ärmeln. Große, plissierte Ballettröcke aus Tüll- und Faillestoffen wurden mit hautfarbenen, in dreien Dimensionen bestickten Wildlederpullovern verziert. Ein weißes Etuikleid glitt über eine Schulter zu einer mit Silikonfedern bestickten Seidenstola. Transparente Blusen mit Krawattenknoten erschienen mit Kaskadenröcken aus Seidenorganza. Weißer, schwarzer oder hautfarbener feiner Seidenkrepp, mit Wolken aus gekräuseltem Seidenorganza oder aus weißen Federn dekoriert, akzentuierte jeden Schritt. Die in einem Appartement neben dem Revuetheater „CRAZY HORSE PARIS“ präsentierte Kollektion vereinte das Gefaltete, Gebrochene, Verletzte, Rythmische, auf daß die Ballroben den Körper skulptural umhüllen mögen.


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