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New York, New York!

Berlin als Sprungbrett für die Modemetropolen

Noch etwas Zeit – zwei Mannequins vor der Modenschau „MARCEL OSTERTAG“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 1. Februar 2016
Die Modemetropole New York übt auf Modeschöpfer eine ungeheuere Anziehungskraft aus. Auch deutsche Modeschöpfer können sich ihr nicht entziehen. So gab der Münchener Modeschöpfer Marcel Ostertag am Ende seiner Modenschau am 19. Januar 2016 mit Freude bekannt, er werde die soeben im Rahmen der Berliner Modewoche in der Alten Heeresbäckerei gezeigte Kollektion für den Herbst und Winter 2016 erneut in der New Yorker Modewoche im Februar 2016 präsentieren. Man darf auf die internationale Resonanz gespannt sein.

Ebenfalls am 19. Januar 2016 stellte die Berliner Modeschöpferin Esther Perbandt ihre neue Kollektion „SOLANUM“ in der Berliner Veranstaltungsstätte „RADIALSYSTEM V“ vor. Die Präsentation begann mit dem Pulsieren eines Klanges, wofür der Komponist Sven Helbig einen „berauschenden Teppich collagierter musikalischer Versatzstücke“ gewebt hatte. Die Musik galt nicht nur den Tänzern des Ensembles „Sasha Waltz & Guests“ mit ihren minimalen Bewegungen, sondern bestimmte nach der Intention der Modeschöpferin gleichsam auch den Herzschlag der Gäste. Die Tänzer, deren Gesichter von Linien und Markierungen gezeichnet waren, trugen uniforme, schwarze Smoking-Overalls auf nackter Haut. Daneben entfalteten sie grob verflochtene schwarze Tücher, um sich darin zu verstricken, bis sie endlich in unterschiedlichen Posen verharrten. Für einen Augenblick herrschte Stille, in welcher lediglich das Pochen der Herzen zu hören sein sollte; dann erschien das erste Mannequin auf der Bühne. Das Prinzip des Kontrastes durchzog die gesamte Kollektion. Es standen Festes gegen Fließendes, schwere Webstoffe aus Wolle und Filz gegen Leder und Seide, offene Kanten gegen „Well tailored“-Elemente sowie Schwarz gegen Weiß. Einziger optischer Ausreißer war das graue Glencheckmuster. Die Kollektion brachte für Esther Perbandt eine dekonstruierte Moderne auf den Punkt, welche die „dunkle, konzentrierte Schönheit eigenständiger Persönlichkeit voller Brüche und Komplexität“ feierte.

Der mehrfache Bruch kennzeichnete die Zusammenstellung der Kleidungsstücke bei den einzelnen Modellen. Esther Perbandt löste die Formen klassischer Bekleidung aus den Zusammenhängen und ordnete sie am Körper neu an; sie vervielfachte Verschlüsse oder Säume, verdichtete, öffnete, schichtete, wickelte, riß heraus, spannte Bänder, schloß sie aber nicht, ließ etwas ausfransen und ließ Kanten offen. Zu sehen waren unter anderem Hosen mit scheinbar nach außen gekrempelten Taschen. Esther Perbandts Vision von Mode beschränkt sich nicht auf Kleidung. Es gilt für jede Präsentation, Kleid, Körper und Bewegung choreographisch miteinander zu verbinden. Hier tauchte das Prinzip der mehrfachen Schichtung wieder auf. Die authentischen, keiner „idealisierten Schönheit“ entsprechenden Mannequins kamen unter dem Podium des Publikums hervor, verschwanden sogleich darunter, tauchten zwischen den Stuhlreihen wieder auf und liefen dann auf die Photographen zu, die dem Publikum derart frontal gegenüberstanden, daß Mannequins und Gäste zu einer bildlichen Einheit verschmolzen. Insofern wurden die Gäste für den Moment der Aufnahme selbst zu Mannequins. Dieses Präsentationskonzept hob sich vom sonst üblichen Hin-und-her der Laufstegschauen wohltuend ab; der Erfolg war Esther Perbandt damit sicher.

In der Berliner Modewoche kam die Nachhaltigkeit nicht zu kurz, denn dafür gab es wieder die Modemessen „green showroom“ und „ethical fashion show BERLIN“ vom 19. Januar 2016 bis zum 21. Januar 2016. Die Berliner Modehochschule „ESMOD“ war gleich mit mehreren Programmpunkten beteiligt. Die Forschungsergebnisse des Projektes „Workshop Fashion In Cycle 2015“ gaben Einblicke in den Bereich der Kreislaufwirtschaft in der Modebranche. Dafür hatten Studenten das derzeitige Modesystem kritisch analysiert und nach zukunftsweisenden Lösungen für die Industrie gesucht, wobei sie Prof. Dr. Michael Braungard, Geschäftsführer der EPEA Internationale Umweltforschung GmbH und Mitgründer des Cradle to Cradle e.V., sowie Dr. Kirsten Brodde, für die „Detox“-Kampagne des Greenpeace e.V. zur Entgiftung der Kleidung verantwortlich, unterstützt hatten. Am 20. Januar 2016 hielt Prof. Friederike von Wedel-Parlow, Programmdirektorin des Master-Studienganges „Sustainability in Fashion“ und Dozentin für nachhaltige Designstrategien, einen Vortrag mit dem Titel „Fashion in Cycles – Ein Paradigmenwechsel“. Darin ging es um die Kreislaufwirtschaft in der Modebranche, das Potential der Philosophie und geeignete Umsetzungsstrategien. Die Kreislaufwirtschaft war am 21. Januar 2016 auch das Thema einer anregenden Podiumsdiskussion unter dem Motto „Create Green Frühstück“. In der Expertenrunde tauschten sich Brett Mathews, Autor des Verlages „MCL Global“ und der Zeitschrift „Circular Economy“, Steffen Riese, „Corporate Social Responsibility“-Manager für die Marke „pyua“, Javier Goyeneche, Gründer der Marke „ECOALF“, Benjamin Marias, Geschäftsführer der AIR – Agence Innovation Responsable SARL, sowie Prof. Friederike von Wedel-Parlow aus.

Auf einer begleitenden Ausstellung stand das Abschlußprojekt „Zerobarracento“ für italienisches Design und raffinierte Details. Die „ESMOD“-Absolventin Camilla Carrara verwandte ausschließlich recyceltes Woolgarn, entwickelte besondere Zero-Waste-Schnitte und baute eine transparente Produktionskette für ihre Kollektion auf. Kunden motivierte sie, sich kritisch mit den derzeitigen Verhältnissen in der Modebrache auseinanderzusetzen. Funktionale Eleganz und zeitloses Dessin bestimmten die Ledertaschen und sonstigen Accessoires des Projektes „IVE“ der Absolventin Isabelle Regier, einer nachhaltigen Alternative zur herkömmlichen Lederindustrie. Das verwandte, biologisch abbaubare Leder wurde mit natürlichem Olivenblattöle getönt. Das Projekt „REMOFORM“ des Absolventen Remo Polack eröffnete der Uniformindustrie neue Möglichkeiten. Die feschen, restlos wiederverwertbaren Anzüge für das Gastgewerbe setzten einen Impuls für die Entstehung neuer Geschäftsmodelle. Das Projekt „Further – Textile Rebirth Catalyst“ der Absolventin Alice Beyer Schuch setzte auf nachhaltige Standards in der Kleidungsproduktion. Das Ergebnis war eine weiße Kollektion der Damenoberbekleidung, die aus regenerierten Fasern im Sinne der Kreislaufwirtschaft hergestellt worden war.

Die Absolventin Claudine Castillo nutzte das Baukastenprinzip als Gestaltungsgrundlage für ihre Taschenkollektion „Parallel Cycle“ aus biologischen Kunsthoffen. Aufgrund der variierenden Anpassungsmöglichkeiten bot das Taschensystem Kunden höchste Funktionalität. Die Absolventin Renana Krebs verfügte als erste Siegerin des Modewettbewerbes „Messe Frankfurt Mentorship Award“ über einen eigenen Stand auf der Messe „green showroom“. Sie war für ihr innovatives Abschlußprojekt „Plants Stories“, bei dem sie sich mit Algenmaterialien und der Idee des „nützlichen Designs“ beschäftigt sowie in Zusammenarbeit mit der hessnatur Stiftung und der Marke "comazo" eine filigrane Freizeitmodenkollektion entwickelt gehabt hatte, ausgezeichnet worden. Programmatischer Höhepunkt der Modemessen waren gewiß die beiden Modenschauen „Salonshow“ und „Ethical Fashion on Stage“ am 19. Januar 2016. Dabei zeigten die „ESMOD“-Absolventen tropische Blumenmuster, reines Weiß, exzentrische Stickstücke und pakistanisches Handwerk. Ihre zwölf unterschiedlichen Anzüge repräsentierten die verschiedenen Schwerpunkte, die sie sich gesetzt hatten, und feierten zugleich die kulturelle Vielfalt des internationalen Studienganges.


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