Dabei ging es weniger um das historisch bedeutsame städtebauliche Ensemble, sondern mehr um das unter einer Glasplatte in der Mitte des Platzes befindliche und aus leeren Bücherregalen bestehende Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933. In der Modewoche war das Denkmal derart in das Veranstaltungszelt einbezogen, daß es in einen besonderen Raum integriert war durch einen separaten Eingang für Besuchergruppen frei zugänglich war. Für das besinnliche Verweilen standen anders als sonst Stühle bereit. Die schwarzen Wände des Zeltes ließen das erleuchtete Denkmal um so wirkungsvoller erscheinen. Die Bürgerinitiative meinte nun, diese Behandlung des Denkmales sei seiner Bedeutung nicht angemessen. Auf der Tafel eines Demonstranten war zu lesen: „BÜCHERVERBRENNUNG 1933 MODEPARTY 2010“. Von den nach ihren Eindrücken befragten, vorwiegend ausländischen Besuchergruppen war indes eine Kritik dahingehend, daß die Wirkung des Denkmales beeinträchtigt sei, nicht zu vernehmen. Vielmehr waren die Besucher vom Geschehen rund um die Modenschauen gleichermaßen beeindruckt.
Der Druck unmittelbar auf den Berliner Senat und mittelbar auf die IMG GmbH als Veranstalterin nahm zu, weil sich das Abgeordnetenhaus mit einer Petition gegen die Nutzung des Bebelplatzes, die von mehr als 500 Künstlern und Historikern ausging, zu beschäftigen hatte. Dennoch verlief die Diskussion sehr oberflächlich. Wenn das Modegeschehen als „Kommerz“, „Halligalli“ oder „Party“ bezeichnet wurde, machte dies einmal mehr deutlich, welchen Stellenwert die Mode beziehungsweise Bekleidung hierzulande überhaupt einnimmt. Es scheint typisch zu sein, die Mode nicht als Teil der Kultur wie die Musik, Malerei, Literatur und dergleichen, das heißt als Bekleidungskultur, sondern als etwas Alltägliches zu begreifen. Hier sind andere Länder wie Frankreich, Italien oder Großbritannien in ihrer geistigen Entwicklung schon weiter und kennen eine solche Geringschätzung nicht. Als noch die öffentlichen Konzerte der Staatskapelle Berlin und die Übertragungen von Opernaufführungen auf den Platz in die Diskussion einbezogen wurden, standen sich verschiedene Kulturformen – einerseits die auf das Denkmal bezogene Erinnerungskultur sowie andererseits die Bekleidungskultur und Musikkultur – scheinbar unversöhnlich gegenüber.
Ob die IMG GmbH von der anhaltenden Diskussion zermürbt wurde oder sowieso schon eine anderweitige Planung hatte, kann dahingestellt bleiben, denn es steht nunmehr fest, daß sich die IMG GmbH für künftige Modenschauen nach einer anderen Stätte umsehen wird, was insoweit konsequent ist, als die Veranstaltungsorte in der Frühzeit häufig gewechselt hatten; man denke an das Brandenburger Tor im Jahre 2007 und den sogenannten Postbahnhof im Jahre 2008. Glücklicherweise sind attraktive Orte in Berlin zuhauf zu finden, wobei auch dort irgendwelche Proteste nicht auszuschließen sein werden.
Offensichtlich taugten die Veranstaltungen der Modewoche als Plattform für die Artikulation diverser Anliegen. Einmal versuchten als Schneemänner verkleidete Demonstranten das Veranstaltungszelt zu stürmen, um auf den prophezeiten Klimawandel aufmerksam zu machen. Freilich mutete bei der vorherrschenden Eiseskälte das Thema „globale Erwärmung“ etwas befremdlich an. Das Sicherheitspersonal griff beherzt ein und drängte die Schneemänner auf die Eingangstreppe ab, wo sie von einer Hostess, die von drinnen herbeigeeilt war, mit Erfrischungsgetränken versorgt und so vor dem „Schmelzen“ gerettet wurden. Diese Hostess trug ein weißes glockenförmiges Kleid der Cottbuser Modeschöpferin Julia Danckwerth, welche die Veranstaltungsreihe als Gelegenheit genutzt hatte, das Personal auszustatten, um ohne eine Modenschau ihre Marke „artischocki“ bekanntzumachen.
Nach der ersten eigentlichen Modewoche im Juli 2007 mit elf Laufstegveranstaltungen bestand das jetzige Programm aus über fünfzig Laufstegveranstaltungen. Laut Auskunft der Berlin Tourismus Marketing GmbH hielten sich rund 200.000 Besucher wegen der Veranstaltungen der Modewoche in Berlin auf. Für Berlin als Modemetropole war dies eine beachtliche positive Entwicklung. Ebenso wichtig für die Entwicklung war die Eröffnung des neuen Modezentrums „Label2“ mit einer Schau- und Verkaufsfläche von rund 7.000 m² innerhalb des Entwicklungsgebietes Mediaspree am Osthafen. Angesichts dessen können die Berliner dem für den Sommer in München geplanten Konkurrenzvorhaben „Munich Fashion Week“ gelassen entgegensehen.
Der aus Bayern stammende und nun in Berlin arbeitende Modeschöpfer Michael Sontag, dessen letzte Kollektion von der international bekannten Modekritikerin Suzy Menkes in der Zeitung „International Herald Tribune“ gelobt worden war, griff für seine jetzige Modenschau nicht auf die einer internationalen Norm entsprechenden Laufstegmodelle zurück, sondern setzte Berliner Modelle mit markanten Gesichtern ein. Dies harmonierte sehr gut mit seinen Stücken, die von vornehm-zurückhaltender Eleganz geprägt waren. Der Berliner Modeschöpfer Sam Frenzel hatte sich gegenüber seiner ersten Kollektion, für die er im Juli 2009 von der Peek&Cloppenburg KG Düsseldorf als „Designer for Tomorrow“ ausgezeichnet worden war, beträchtlich gesteigert. Nunmehr bestaunte das Publikum filigranartige gestrickte Kunstwerke. Unter der Federführung des Berliner Modeschöpfers Kilian Kerner waren diesmal zwei Kollektionen entstanden. Seine Marke „KILIAN KERNER“ steht für legere und verspielte Eleganz; die Marke „NO IFS“ umfaßt gehobene Straßen- und Freizeitkleidung. Zu den Debütanten, die in Berlin ihre erste Kollektion vorstellten, zählten die Berliner Modeschöpferinnen Johanna Perret und Tutia Schaad mit ihrer Marke „PERRET SCHAAD“ sowie die Münchener Modeschöpferin Christina Arend mit ihrer Marke „arrondissement Aq1“.
Auf einer gemeinsamen Modenschau waren die Kollektionen der italienischen Nachwuchsmarken „CRISTIANO“, „A-lab Milano“, „PAOLO ERRICO“, „MAURO GASPERI“ und „cristina miraldi“ zu sehen. Hervor stachen die Widderhörner, welche die Modelle der Marke „A-lab Milano“ unter dem Motto „Arcana“ in Anspielung auf die Antike als Kopfputz zu einer schmalen, uniformartigen Silhouette trugen. Der neue Preis „RAMAZZOTTI Runway AWARD“ zur Förderung des einheimischen Nachwuchses unter den Modeschöpfern ging an die Berliner Modeschöpfer Marlene Scheffel und Iskander Porodjuk mit ihrer Marke „LUXXUS“. Sie stellten am 21. Januar 2010 im Repräsentanzgebäude der Daimler AG ihre Gewinnerkollektion mit Variationen des „kleinen Schwarzen“ nach den Kollektionen der fünf Mitbewerber vor.
Die Modewoche endete mit der Modenschau des Berliner „Kult-Designers“ Torsten Amft im Club „ADAGIO“. Torsten Amft wollte in dem düster-gruseligen Ambiente neben den üblichen Modellen behinderte Menschen auftreten lassen, um nach eigenem Bekunden gegen die Folgen der Genmanipulation zu protestieren. Hinter den Kulissen kam es zu Abstimmungsproblemen, als sich Torsten Amft gegen die Verwendung von Rollstühlen aussprach. Als die behinderten Menschen dann noch erfuhren, daß sie teils mit ihren Prothesen winken, teils ohne Prothesen in einer Tasche über den Laufsteg getragen werden sollten, war für sie eine Mitwirkung nicht mehr zumutbar. Letztlich mußte Torsten Amft auf den Einsatz der behinderten Menschen und damit auf seine Provokation verzichten, was für alle Beteiligten wohl die beste Lösung war, zumal da seine solide Kollektion eine solche Provokation gar nicht nötig hatte.
Die Entwicklung der Modeszene in Berlin ging auch an den Menschen nicht spurlos vorüber. Es fiel angenehm auf, daß neben den Fachleuten und den wenigen prominenten und vielen semiprominenten Gästen der Modeschöpfer, deren Erscheinungsbild sich zwangsläufig nach beruflichen Belangen und Zielen richtete, immer mehr private Gäste Wert auf eine gepflegte, bisweilen sogar elegante Kleidung legten.
Veranstalter der Tagung „Die Räume der Mode“ vom 5. Mai bis zum 7. Mai 2010 im Kulturforum war das Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam. Hinzu kamen die Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die AMD Akademie Mode & Design GmbH in Hamburg sowie der netzwerk mode textil Interessenvertretung der kulturwissenschaftlichen Textil-, Kleider und Modeforschung e. V. in Berlin als Kooperationspartner. Das Veranstaltungskonzept erläuterte die Leiterin Prof. Dr. Gertrud Lehnert vorweg: „Kleidermode ist eine der wichtigsten Erscheinungsformen von Mode. Sie materialisiert die Dynamik der Mode einerseits in Artefakten, den ‚Kleidern‘, und andererseits im menschlichen Handeln, das diese Kleider hervorbringt und sie in einer Vielfalt von Aktivitäten erst zu Mode werden lässt. Dieses Handeln findet im Raum statt, der seinerseits als dynamisch zu verstehen ist. Der Mode als einem Prozess des unauflöslichen wechselseitigen Verhältnisses von Räumen, Kleidern und Menschen widmet sich die interdisziplinäre Tagung.“
Den Themenkomplex „RÄUME DER AUFFÜHRUNG“ eröffnete die Dozentin der Freien Universität Berlin Prof. Dr. Gabriele Brandstetter; ihr Vortrag „Choreographie der Stoffe. Zu Transformationen von Körper-Raum“ drehte sich um das Stück „Parades and Changes“, um zu zeigen, wie aus Alltagsprodukten Mode entstehen könne; die Künstlerinnen Anne Collod und Anna Halprin hatten herumliegendes und den Raum definierendes Packpapier um nackte Körper gelegt und damit zur Mode gemacht. Die an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg lehrende Prof. Dr. Birgit Haase stellte unter dem Titel „‚La passante‘ – Die Promenade als Modeschauplatz im Zeitalter des Impressionismus“ das Idealbild der „Parisienne“ in den 1860er Jahren vor, als die Frauen als Spaziergängerinnen in das öffentliche Großstadtleben getreten waren; das weibliche Promenadenkostüm war damals ein Inbegriff urbaner Modernität gewesen. Der Begriff „passante“ war übrigens Charles-Pierre Baudelaires Dichtung „Les Fleurs du Mal“ aus gleicher Zeit entnommen.
Alicia Kühl, Doktorandin der Universität Potsdam, hob unter dem Titel „Annäherungen an eine Modenschaukritik“ die „Demokratisierung“ der bisher einem exklusiven Publikum vorbehaltenen Modenschauen durch „Public Viewing“ und „Livestreaming“ hervor; so werde die Modenschau zusehends zum „Event“. Prof. Dr. Gertrud Lehnert erklärte unter dem Titel „Théâtre(s) de la mode: Moderäume und Modepuppen“, Modepuppen führten modellhaft Bekleidungsmode vor und brächten eine „spezifische Dynamik räumlicher Wahrnehmung“ hervor, wobei die Puppen selbst auch Objekte des Begehrens seien.
Den Themenkomplex „MEDIALE RÄUME“ griff die Berliner Künstlerin und Journalistin Susanne Beckmann auf, die unter dem Titel „Virtueller und realer Raum der Mode“ die spezifischen Merkmale des photographischen Ateliers, des Laufsteges, des Ladens und der „Internet“-Seite gegenüberstellte. Der Leipziger Mode- und Kunstphotograph Olaf Martens betonte unter dem Titel „Reale Kunstwelten“, wie wichtig es für eine aussagekräftige bildliche Darstellung der Mode sei, nicht nur das Kleidungsstück zu zeigen, sondern auch eine Geschichte zu erzählen, also die Kleidung in Beziehung zur räumlichen Umgebung mit ihrer besonderen Vergangenheit und Gegenwart zu setzen, was er mit eigenen Bildern veranschaulichte. Seine Werke ließen erkennen, wie leicht sich eine solche Geschichte erzählen ließ, wenn für die Auswahl des Sujets und die Bildkomposition ein fundiertes kunsthistorisches Wissen zur Verfügung gestanden hatte.
Die an der Technischen Universität Dortmund wirkende Prof. Dr. Gabriele Mentges griff unter dem Titel „Urbane Landschaften im Bild der Mode“ auf ein Lichtbild des Modephotographen Erwin Blumenfeld aus dem Jahre 1939 zurück, für welches das Modell Lisa Fonssagrives auf den Stahlträgern des Eiffel-Turmes vor der nur noch schemenhaft erkennbaren Pariser Silhouette posiert hatte; dieses Bild habe einen „ikonischen Status“ in der Modephotographie. Davon ausgehend, brauche die Mode einen Kontext wie die Stadt, also eine Verortung, um als Mode wahrgenommen zu werden. Hier hätten ebenso die Photographen Helmut Newton und Franz Christian Gundlach wegweisend gewirkt. Die Lipperheidesche Kostümbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin vertrat Dr. Adelheid Rasche, die unter dem Titel „Von Sprach- und Bildräumen: Mode in Text- und Bildquellen“ die Entwicklung der Modedarstellung von den Trachtenbüchern der frühen Neuzeit bis zu den heutigen Modezeitschriften, insbesondere die Veränderungen bei der Anordnung und der Gewichtung von Abbildungen und erläuternden Texten im Laufe der Zeit, darstellte.
Katja Weise, Studentin der Freien Universität Berlin, ließ das Publikum unter dem Titel „Museen machen Mode. Die Inszenierung modischer Körper in Ausstellungen“ in ihre noch unfertige Magisterarbeit blicken. Den Mittelpunkt ihres Interesses bildeten ausgefeilte räumliche Arrangements in Sonderausstellungen über zeitgenössische Haute Couture und Prêt-à-Porter, die Mode als ephemeres Phänomen erfahrbar machten; die Einbeziehung von Besuchern und Modellen in die Ausstellung führe zu einer „Verlebendigung“ der Kleider. Zu denken sei an die Ausstellung des japanischen Modeschöpfers Yohji Yamamoto „Dream Shop“ in Antwerpen im Jahre 2006, wo die Kleidungsstücke die Besucher mit den Schildchen „Try me on!“ zum Anprobieren aufforderten. In solchen Fällen habe sich um ein Zusammenspiel von Körpern und Kleidungsstücken ohne Verkaufsabsicht gehandelt. Hier wandte sich Dr. Adelheid Rasche gegen eine Ausbreitung kommerzieller Interessen in musealen Räumen und nannte als Beispiel die „TONI GARD“-Ausstellung in Düsseldorf im Jahre 2007, wo Preisschilder an den ausgestellten Kleidungsstücken nicht zu übersehen gewesen seien.
Zuletzt wies Elke Giese, die für den Deutsches Mode-Institut e. V. in Köln das heutige Erscheinungsbild junger Leute auf der Straße untersucht hatte, unter dem Titel „Trends: ‚Everywear‘“ auf den sportiven und zugleich betont nachlässigen Charakter der scheinbar willkürlich zusammengestellten Einzelteile hin. Diese unter der Bezeichnung „Look der Straße“ zu vereinenden Kombinationen würden als Ausdruck des Zeitgeistes für das Segment „High Fashion“ immer bedeutsamer und hätten mittlerweile Eingang in das Berufsleben gefunden, wozu Elke Giese auf die von ihr photographierten Mitarbeiter Berliner Presseagenturen verwies. Daher seien traditionelle Medien wie die Modezeitschrift „VOGUE“ nicht mehr inspirierend.
In der Tat sind viele Lebensbereiche von der Mode ordnend durchdrungen. Leider blieben bei der Tagung die Modenschau als Raum einer neuen Kunstform (Modetheater) und der Kriegsschauplatz als Raum militärischer Mode mit ihren vielen Einflüssen auf die zivile Mode – die Krawatte geht auch auf ein Uniformteil des Régiment de Cavalerie de Royal-Cravate zurück und der Trenchcoat entstammt den Schützengräben des ersten Weltkrieges – unbeachtet. Auch die Theaterbühne als Raum für kostümbildnerische Kreationen à la mode – so die Pariser Modeschöpfer Jean-Paul Gaultier für die Inszenierung „Schneewittchen“ des Staatsballettes Berlin und Christian Lacroix für die Inszenierung „Agrippina“ der Staatsoper Unter den Linden – kam nicht vor; Christian Lacroix hatte einst gesagt: „Haute Couture und Oper sind das gleiche. Es geht immer darum, den Charakter einer Person oder Rolle zu unterstreichen.“ Überdies wäre es für die Betrachtung manchmal hilfreich gewesen, bei der Modeinszenierung zu differenzieren, das heißt das Kleidungstragen in der Praxis seitens der Konsumenten klarer von der Zurschaustellung seitens der Modeschöpfer und Händler abzugrenzen.
Visueller Höhepunkt der Veranstaltung war die Modenschau der beteiligten Modeschule am 6. Mai 2010. Unter dem Motto „Privacy“ schienen sich die Erkenntnisse aus den Redebeiträgen in anschaulicher Weise zu verdichten. Unglücklicherweise hielten sich die Laienmodelle nicht immer an die von den Choreographen Susanne Müller-Elsner und Tamatsu Kondo als Hilfe für das Posieren gedachte Markierung auf dem Laufstegboden. Ein Rundgang durch die Ausstellung „High Sixties Fashion Modefotografie und -illustration“ und ein Blick auf einige literarische Schätze der Lipperheideschen Kostümbibliothek rundeten die Veranstaltung ab.