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Die Frage der Geschlechter

Modelle für sie und ihn

Der Palazzo Serbelloni – Stätte der Modenschau „Luisa Beccaria“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 2. April 2015
Eleganz ist in Mailand kein Fremdwort. Unzählige Modeschöpfer machen sich in jeder Saison Gedanken darüber, wie sie abstrakt zu definieren und an konkreten Kleidungsstücken umzusetzen ist. Zu finden ist auch eine modische Lösung angesichts der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Geschlechter.

Die Mailänder Modeschöpferin Luisa Beccaria präsentierte am 25. Februar 2015 im Palazzo Serbelloni für den Herbst und Winter 2015 ihre Kollektion unter anderem aus schulterfreien Roben, Roben mit V-Dekolleté, Bleistiftröcken, Kreisröcken und Mänteln. Bei den Längen waren die Maße „midi“ und „lang“ die Vorgabe. Die Materialpalette war außergewöhnlich: Samt, Loden, Vicuña-Wolle und Fil-Coupé-Glasbatist (Organdy). Das Vichy-Muster kam ebenso vor wie Rüschen und Raffungen. Nachtblau, leuchtendes Oktanblau und Blau in vielen weiteren Schattierungen waren genauso zu sehen wie Lodengrün, Schamrot, Anthrazitgrau, Cremeweiß und Gold. Bei den Accessoires fielen die Pumps mit Metallteilen, hohen Schnürstiefel, Barette, hohen Handschuhe und kleine geschmückte Taschen auf.

Für die neue Damenkollektion der Marke „PORTS 1961“ besann sich die am Central Saint Martins College of Art and Design in London ausgebildete Modeschöpferin Natasa Cagalj, die im November 2014 Kreative Leiterin des Modehauses geworden war und nunmehr ihre erste Hauptsaison erlebte, auf die Gründung der Marke. Damals war es dem Modeschöpfer Luke Tanabe darum gegangen, ein „großes Hemd des weißen Mannes“ für seine Ehefrau zu schaffen; so hatte alles mit Herrenkleidung für Damen begonnen. Konsequenterweise stellte sich Natasa Cagalj eine Frau in der Kleidung eines Mannes vor. Es ging also um das Spannungsfeld zwischen Umkleiden und Verkleiden, genauer gesagt um das, was beim Kleidungswechsel passiert, mit anderen Worten um Verwandlung und Manipulation. Nonchalance atmete jedes Stück der am 26. Februar 2015 in den eigenen Schauräumen gezeigten Kollektion, beispielsweise die schräg geschnittenen Kleider aus grauer japanischer Wolle und die frischen Hemden aus Baumwollpopeline. Symbole der Männlichkeit, nämlich der Anzug, das Hemd, der Militärmantel, hatten in dieser Kollektion Fließfähigkeit. Die buchstäblich nahtlose Änderung eines Kleidungsstücks zeigte sich an überlangen Ärmeln, die so aufgerollt werden konnten, daß unerwartete Streifen auf der Innenseite hervortraten.

Abseits der Spitze und Leopardendrucke wurde der Chiffonschal die Grundlage für Tuniken und Tops mit zarten Pompons an den Enden. Zierliche Lampassen an den Seiten der Nadelstreifenhose riefen einen Smokingeffekt hervor. Die Überraschung steckte ist in den Details. Viele Stücke waren wie geschaffen für den Morgen nach einer ereignisreichen Nacht im Hotelzimmer, da sie sich, für flache Schuhe entworfen, ohne Probleme zu Badeschlappen tragen ließen. Die Kollektion enthielt beste italienische Stoffe für Herrenanzüge und Herrenhemden. Die Mehrheit dieser Stoffe wurde eigens für Natasa Cagaljs Entwürfe gefertigt. Darunter befanden sich neben Jacquardgeweben Samt und Kompaktwolle sowie Fransen aus Seide und Baumwolle. Kraft einer „glücklichen Fügung des Schicksales“ befindet sich das Atelier der Marke nunmehr in den vormaligen Redaktionsräumen der Londoner Zeitschrift „The Face“ am Exmouth Market in Clerkenwell. Die Energie und die Ästhetik der Blütezeit dieser Zeitschrift in den 1990er Jahren fungierten als zusätzliche Inspirationsquelle. Der offene, rohe, spontane, improvisierte „Street-Style“ dieser Zeit begeisterte Natasa Cagalj. Mit den absichtlich ausgefransten Rändern und den lässigen Formen feierte die Kollektion die Unvollendung.

Im Laden „10 corso como“ stellte die Mailänder Modeschöpferin Martina Grasselli am 25. Februar 2015 die Kollektion ihrer Schuhmarke „colıac martina grasselli“ aus Derby-Schuhen, Slippern, Stiefeletten, Turnschuhen und Sandalen vor. Neuigkeit in dieser Saison war eine Innovation bei den Materialien. Es gab nunmehr vegan orientierte Modelle. In Abgrenzung zu den anderen Modellen sind diese Modelle seither am silberne Logo zu erkennen. Martina Grasselli widmete den eigentlich männlichen Derbyschuh den Frauen, wonach er hier, ganz in „Öko-Leder“, in einer Unisex-Form auftauchte, und zwar von allen üblichen Ornamenten gereinigt und durch neue Ausschmückungen in den Status „geschnürtes Juwel“ erhoben. Die verschiedenen dekorativen Ansätze für das Modell wurden zum Kennzeichen der Marke. Das Spiel der goldenen Klammern an den Schuhspitzen als imaginärer Zusammenhalt der Schuhteile stand neben dem Anhaften von Perlen und goldfarbenen Metallaschen wie die Laschen der Basketballschuhe der 1980er Jahre. Agglomerationen von vielgestaltigen Strass-Steinen auf der Schuhspitze bildeten mehrfarbige oder auch einfarbige Strukturen.

Weitere Verzierungen waren metallische Quader am Ende der Schnüre, Metallapplikationen auf den Fersen mit übergroßen Steinen für einen Kristalleffekt, übergroße, an der Spitze verknotete Lederquasten und überlappende Wulste in verschiedenen Größen sowie Piercings mit Kristallen oder Perlen anstelle von Schnüren. Andere Neuerungen waren erstens ein gestickter Couturesneaker in dreien verschiedenen Farben und Ausführungen, zweitens ein Derbyschuh mit geschnitzten Sohlen wie Kuchenschalen und drittens eine mit Piercings und Steineinfassungen verzierte, hochhackige Sandale. Das Material war hauptsächlich Kalbsleder, mal gebürstet, mal gespiegelt, mal mit Knistereffekten verschmiert; Glitterwerk und langhaarige Felle kamen hinzu. Die Farbpalette umfaßte Schwarz, Dunkelblau, Rosa, Gold, Platinum und Nude-Töne, wobei Glyzinenblau, metallisches Grün und Rutheniumrot für helle Akzenten sorgten. In dieser Kollektion verschmolzen Spielerisches und Schelmisches als ideelle Grundlage für die Handwerkskompetenz „Made in Italy“. Mit der neuen Kollektion gaben sich Ästhetik und Ethik sozusagen die Hand. Zu guter Letzt läßt sich über das Verhältnis der Geschlechter zueinander wie auch gegenüber Dritten mit Papageno und Papagena aus der Oper „Die Zauberflöte“ sagen: „… nichts Edler’s sei, als Weib und Mann. / Mann und Weib, und Weib und Mann, / Reichen an die Gottheit an.“


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