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Laß’ das mal den Tony machen!

Baumeister der Mode in der Dombauhütte zu Paris

Das Museum der dekorativen Künste – Stätte der Modenschau „GUSTAVOLlNS“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 8. Februar 2015
Die Welt ist unerschöpflich an Inspirationsquellen. Mit der neuen Couture-Kollektion interpretierte der libanesische Modeschöpfer Tony Ward strukturelle Linien und Figuren, um eine moderne Silhouette zu kreieren, die eine verlorene Heldin der antiken Welt veranschaulichen sollte, wozu er sich von der Baukunst der Gotik inspirieren ließ.

In der am 27. Januar 2015 im Festsaale der Bürgermeisterei des 4. Arrondissements gezeigten Kollektion für den Frühling und Sommer 2015 kollidierten komplizierte Formen miteinander und verflochten sich ineinander derart, daß sich elegante Filigrane in eine Vielzahl weiblicher Looks verwandelten. Dramatische Abendroben erschienen Seite an Seite mit sinnlichen, enthüllenden Kleidungsstücken anderer Art. Die Stoffe waren eine Mischung aus Zibeline, bedruckter Gaze, bestickter Krinoline und Spitze. Die Weichheit der Farbtöne Holzrosa, Silber und Blau glich die Härte der Farbtöne Tiefschwarz, reines Weiß und Antikgold aus, so wie die Glasfenster einer gotischen Kathedrale viel Licht durchscheinen lassen. In zartes Maßwerk geformte ornamentale Seidendrähte bildeten einen Schwerpunkt in der Kollektion; sie bestimmten sich durch sichtbare dreidimensionale Details, die mit in Tony Wards Atelier neu entwickelten Techniken eingearbeitet wurden. Armaturen, Spitzbögen und Rippengewölbe waren in den sich wiederholenden symmetrischen Mustern der Kleider wiederzufinden. Auch die Rose als ein wesentliches Element der gotischen Kunst war in der Kollektion überaus präsent.

Der Modeschöpfer Gustavo Lins aus Brasilien kehrte nach zeitweiliger Abwesenheit von den Pariser Laufstegen dorthin zurück. Dabei präsentierte er im Museum der dekorativen Künste nicht nur die Kollektion mit der Nummer „024“ und dem Namen „Amazon“, sondern er vermeldete auch die Eröffnung seiner Boutique in der Nähe des eigenen Pariser Ateliers. Gustavo Lins kam aus der Architektur zur Bekleidungskunst; so brachte er die Leidenschaft für Gestaltung mit und ließ die Besessenheit bei Strukturen sein ganzes Werk prägen. Eine tiefgreifende Schlichtheit ging von übersichtlichen Silhouetten aus edelsten Materialien aus. Kaschmir, Seide, Leder, und zwar geschmeidiges Leder von Lämmern und Krokodilen, sowie Fell waren die bevorzugten Materialen. Nach Ansicht des Modeschöpfers adelt erhabene Schneiderei sogar die einfachsten Anzüge, was sich nun beispielsweise an der klassischen Schönheit eines Kamelhaarmantels zeigte. Diagonale Nähte über dem Rücken und nicht rechteckige Schulterträger wickelten sich um den Arm, um plumpe Falten bei der Bewegung zu verhindern.

Geschwungene Nähte verliehen den Stücken der neuen Kollektion Dynamik; ein lockerer Sitz vermittelte der Trägerin ein Gefühl der Nonchalance. Gustavo Lins schöpfte aus Jugenderinnerungen, um den Stücken einen Sinn für Freiheit mitzugeben. Der weibliche Körper sollte schließlich vorteilhaft zur Geltung kommen. Gustavo Lins’ unverwechselbarer Stil, nämlich die einzigartige Kombination aus Fadenläufen und schrägen Schnitten, ermöglichte es ihm wieder, strukturierte und dennoch fließende Volumen zu schaffen. Seine kreative Handschrift vereinte Geraden und Kurven zu Spiralen, mit denen jedes Kleidungsstück zu einem sinnlichen Bauwerke werden sollte. Gleichwohl reihte sich die neue Kollektion in ihrer maßgeschneiderten Art in die traditionelle Couture ein und strahlte somit Zeitlosigkeit aus.


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