▌EN

Die unschuldige Jugend

Wie die russische Seele Eingang in die Mode findet

Auf der Wartebank – das Mannequin Anja Leuenberger und Kolleginnen vor der Modenschau „Yanina“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 6. Februar 2015
Die hohe Schneiderkunst ist nicht auf Westeuropa beschränkt. Auch aus Osteuropa kommen beachtliche Beiträge zur Kleidungskultur. Zu den zur Zeit bedeutendsten Couturiers aus Rußland zählt ohne Zweifel die Moskauerin Yulia Yanina.

Yulia Yanina präsentierte am 26. Januar 2015 im Hôtel le Marois eine Kollektion, für welche wahre Filmdiven die Inspiration gewesen waren; Jane Birkins jugendlicher offener Geist, Catherine Deneuves kalte Aristokratie und Brigitte Bardots aufregende Sexualität kulminierten in der Kollektion „Innocence of Youth“. Die Kollektion verband sowohl das reiche russische Modeerbe als auch die russische Mentalität mit französischer Couture. Lange Roben, Röcke mit Schleppen, Stufenröcke in A-Linie, Dirndlröcke, voluminöse Kaskadenröcke und winzige Mieder fanden hier zueinander. Enge Taillen, leichte klare Silhouetten und herrlich blühende Stickereien waren das magische Rezept für besondere Anlässe. Kleider mit exquisiten Linien versprachen allen Frauen unendlich viel Glück und Vertrautheit sowie immerwährende Jugend. Florale Drucke und durchsichtige Stoffe verschafften der Kollektion eine innovative Note.

Die anspruchsvollen Details offenbarten den Ideenreichtum und die Individualität der Modeschöpferin. Daraus ergab sich eine reizvolle Mischung aus klassischer Sinnlichkeit und jugendlicher Unschuld. Yulia Yaninas Lieblingsstücke waren eine smaragdgrüne Robe und ein beerenroter ausladender Kaskadenrock. Bei den Silhouetten galt das Prinzip der hohen Taillen. Die Farbpalette umfaßte Weiß, Smaragdgrün, Beerenrot, schmutziges Beige und Schwarz, während die Stoffpalette Schleier, Taft, Chiffon, Seide, Tussorseide und Duchesseseide umfaßte. Ausschmückungen bestanden aus Stickereien, insbesondere Richelieu-Stickereien, Seidenstichen, etlichen Applikationen und Entblößungen. Die Kollektion war genau das Richtige für eine gnädige und elegante Frau als Angehörige einer zuversichtlichen Generation.

Der kanadische Modeschöpfer Rad Hourani stellte als eingeladenes Mitglied der Chambre Syndicale de la Haute Couture seine neue Kollektion in den Räumen der Botschaft von Kanada in der Nähe des Hôtel des Invalides vor. Für diese Kollektion schuf er Couture-Stücke als Skulpturen aus ungewöhnlichen Materialien wie Plastik und Nylon. Da für ihn Couture eine Kunstform ist, arbeitete er mit dem Zentrum für zeitgenössische Kunst „L’Arsenal“ zusammen; in dessen Räumlichkeiten photographierte und filmte er die Stücke seiner Kollektion vor den Werken unter anderem der Künstler David Altmejd, Nick Cave, Theaster Gates, Adad Hannah, Anselm Kiefer, Giuseppe Penone und Ugo Rodinone. Rad Hourani nutzte Prinzipien der Architektur, um die Kleidungsstücke zu entwerfen, wobei er stets im Blicke hatte, wie sich das fertige Stück in der Bewegung verhält.

Die Uniformität der Kollektion war eine unverwechselbare Sprache und eine Herausforderung der Koventionen. Der Origamikunst gleich erschienen seine Muster als magische Falten, damit sich die Trägerin komfortabel, kraftvoll und zeitlos fühle. Die Zeitlosigkeit beziehungsweise die Unabhängigkeit von Jahreszeiten drückt sich letztlich auch in der bloßen fortlaufenden Numerierung der Kollektionen aus, mit denen er seine Vision vom freien, individuellen Leben skizziert. Demgemäß sieht Rad Hourani die Moderne als eine Odyssee frei von Regeln, Grenzen, Geschlechterrollen, Altersbeschränkungen und Zeitvorgaben an.


Weitere Bilder



█ INHALTSVERZEICHNIS █ ARCHIV █ KALENDER █ IMPRESSUM