Noch ist Polen nicht verloren

Mode als Mittel der Diplomatie

Botschaft der Republik Polen – Ort der Modenschau „GOSIABACZYŃSKA“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 12. November 2014

Wenn es in Paris darum geht, eine Veranstaltungsstätte für eine Modepräsentation zu finden, halten sich ausländische Modeschöpfer gerne an diplomatischen Einrichtungen ihres Heimatlandes. Für die Diplomaten ist es wiederum eine Gelegenheit nationaler Repräsentation, nämlich mit der Mode die kulturelle Bedeutung des eigenen Landes zu bekräftigen. Die Räumlichkeiten einiger Botschaftsgebäude waren schon solche Orte des Geschehens, wie es Belgien, Brasilien, Kanada, die Niederlande und Spanien zeigen. Nunmehr war Polen an der Reihe.

Am 25. September 2014 präsentierte die polnische Modeschöpferin Gosia Baczyńska ihre Kollektion „Black Spring“ in den Sälen der Botschaft der Republik Polen. Die Kollektion rührte aus ihrer Faszination für Henry Millers Werk „11 Commandments“ her. Der vom Autor entwickelte „Work Schedule“ ist nach Ansicht der Modeschöpferin in seiner Natur so universell, daß er von jedem Künstler leicht verinnerlicht werden kann. Henry Millers Text veranlaßte Gosia Baczyńska, den kreativen Prozeß zu überdenken. Zur gleichen Zeit gewann der Kontext der künstlerischen Bohème der 1930er Jahre an Einfluß, und zwar mit der charakteristischen glühenden Stimmung der intellektuellen Provokation, die in individuellen Anzügen wahnehmbar werden sollte. Die Kollektion erhielt so zwar eine schelmische Note, blieb aber zugleich ruhig und ausgeglichen. Die Modeschöpferin stellte sich ein gehorsames, schlecht werdendes Mädel vor, wenn die scheinbar bescheidene Kleidung ihren rebellische Natur offenbart..

Gosia Baczyńskas Lieblingszitate „Bleibe menschlich! Gehe auf die Plätze, siehe die Leute, trinke, wenn dir danach ist!“ und „Sei kein Zugpferd! Arbeite nur mit Vergnügen!“ übertrug sie als Stellungnahme beziehungsweise Botschaft auf Blusen, Röcke, Kleider und Schuhe. Dort erschienen sie, in Begleitung von Schülerkritzeleien, entweder als gedruckte Inschriften oder als Schriftzüge aus der Hand der Modeschöpferin. Mal waren sie deutlich sichtbar, mal waren sie eher versteckt. Die Schriften waren ein ornamentales Detail, wenn sie mit Goldfolie auf einem einfachen schwarzen Kleide gedruckt waren. Demgegenüber wirkten sie wie ein mysteriöser Code, wenn sie aus dem Innern der Falten hervorsprangen.

Die Kollektion beinhaltete experimentelle Falten, von der Satztechnik inspirierte Drucke, mit Folie und Schwarmmustern bedeckte Borten sowie Jacquard-Strick. Die Lasertechnik beim Formen und Zuschneiden der Falten führte zu 3D-Texturen, die bei der Bewegung auf den Kleidern zu tanzen schienen, was einen Blick auf die nackte Haut darunter ermöglichte. Die meisten Kleider hatten eine Knielänge oder Midilänge. Die dominierenden Farben waren Schwarz, Marineblau, Pink, Minzgrün und Weiß. Bei den Accessoires wiesen silberne Ringe, die Siegelringen glichen, die besagten satztechnischen Motive auf und enthielten so eine verschlüsselte Nachricht. Auch bei den Schuhen betätigte sich Gosia erstmals als Modeschöpferin. Bei den hoch geschnürten Sandalen waren die oberen Vinylteile mit Henry Millers Zitaten versehen, während die massiven kastenförmigen Absätze in mit den satzLeder gehalten waren. Die Schuhkollektion entstand in Zusammenarbeit mit der Schuhmarke „nunc“, hinter der die polnische Modeschöpferin Dominika Nowak steht.

Für die neue Kollektion der aus Nordirland stammenden und in Paris tätigen Modeschöpferin Sharon Wauchob, die im Oratoire du Louvre gezeigt wurde, waren der Geist und die Silhouetten der Jugendbewegung der späten 1960er Jahre die Inspiration. Es war für Sharon Wauchob eine Zeit, in der sich für einen Moment die Individualität und Exzentrizität in der Mode, Musik und bildenden Kunst zeigte. Für sie ergab sich eingedenk dieses kulturellen Paradigmenwechsels eine Gelegenheit, eine vage „vintage“-Sinnlichkeit in Gestalt von schräg geschnittenen Miniröcken und fließenden Seidenkleidern mit von der Lingerie inspirierten, ungekünstelten Details und mit schlanken, knabenhaften Hosen zu verschmelzen. Die Farbpalette entsprach nach Einschätzung der Modeschöpferin sowohl der Realität heutiger Bekleidung als auch den Sehnsüchten der außergewöhnlichen, kurzlebigen Ära: Schwarz, reines Weiß, Cremeweiß, Silbergrau und Sandfarbe.

Für den indischen Modeschöpfer Manish Arora stellte sich im Palais de Tokyo die Frau der neuen Saison als freigeistige Reisende durch pastellfarbene Landschaften aus Rosen und Raumschiffen dar. Halluzinatorische Götter und Astronauten schwebten demnach durch kaleidoskopische Mondwelten auf gedrucktem Aertex und auf sportlichen Maschen aus schillerndem Lurex. Drucke waren in feinen Texturen angelegt, um den verschwommenen Effekt von Doppelbildern und Traumzuständen hervorzubringen, während die schillernde Stickerei an die schimmernde Sonne langer Sommertage denken ließ. 3-D-bestickte Rosen sowie Augen aus graphischem Vinyl und Chiffon hatten neben holographischen Platten eine hypnotische Wirkung. Die Kollektion war ein Wechselspiel zwischen Innerem und Äußeren. Abgeschnittene Details auf Drucken enthüllten verborgene Stickereien und gestreifter Strick berührte alles mit einer hauchdünnen Leichtigkeit, während Schmuck hinter transluzentem Glasnylon glänzte. Perlglanz, reflektierende Stickereien und gefaltete Pailletten standen für spielerische Selbstreflexion.

Lange, träge Silhouetten ergaben sich aus einfachen T-Shirts. Sportliche Radlerhosen und glitzernde Röhrentops waren mit Sonnenkappen gepaart. Eine euphorische Positivität durchdrang nach der Empfindung des Modeschöpfers die Kollektion, die von Farbtönen natürlicher Vorgänge geprägt war. Rosa und Pfirsichrot waren die Töne des Sonnenunterganges; Blau und frisches Weiß waren die Töne des schimmernden frühen Morgens. Manish Aroras Heldinnen schritten in Cyber-Gladiatorsandalen aus holographischem PVC über den Laufsteg. Für die nötige Bewußtseinserweiterung auf der Reise sorgten Pastellspritzer, Prismenhalsketten und Ringe aus lasergeschnittenem Plexiglase. Am Ende der Reise stand ein luftiges Gefühl der Erleuchtung. Das Ziel war das Manish-Arora-Universum, das nunmehr, das heißt seit der Eröffnung des eigenen Ladens in Paris, leibhaftig zu erleben.


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