Für eine Handvoll Euros

Mode nicht nur für Gringos

Heraus aus dem Schatten – der Modeschöpfer Karl Lagerfeld nach der Party „VOGUE ARCHIVE“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 8. November 2014

Die Mailänder Damenmodewoche endete am 22. September 2014 im Sinne der Nachwuchsförderung. Im Palazzo Reale stellten sich auf verschiedenen Modenschauen Nachwuchstalente unter dem Motto „N-U-D-E: NEW UPCOMING DESIGNERS“ vor. Zum einen handelte es sich um die Bologneser Modeschöpfer Juan Caro und Fabio Sasso mit ihrer Marke „Leitmotiv“, zum anderen um den zwischen Mailand, Tokio und Schanghai pendelden Modeschöpfer Alberto Zambelli. Dazwischen kam im Palazzo Clerici noch ein etablierter Modeschöpfer zum Zuge. Der Mailänder Modeschöpfer Sergeij Grinko aus Rußland schickte Mannequins in Wildwest-Manier mit Cowboyhüten über den Laufsteg.

Einen anderen Ansatz verfolgte der aus Wien stammende und in Mailand tätige Modeschöpfer Arthur Arbesser. Arthur Arbesser studierte am Central Saint Martins College in London, wo er sich mit der eigenwilligen britischen Kunstszene befaßte und so eine eigene Ästhetik entwickelte. Danach ging er nach Mailand, um sieben Jahre lang für den Modeschöpfer Giorgio Armani zu arbeiten. Im Februar 2013 machte Arthur Arbesser in der Mailänder Damenmodewoche mit seiner neu gegründeten Damenmodemarke gleichen Namens auf sich aufmerksam. Schon im September 2013 gewann er den renommierten Wettbewerb „WHO IS ON NEXT?“. Mit der mittlerweile vierten Kollektion, die er am 21. September 2014 in der Veranstaltungsstätte „Garage Sanremo“ präsentierte, gelang ihm ein weiterer beachtenswerter Wurf.

Für die Entwürfe setzte Arthur Arbesser seine Suche nach einer modernen Ästhetik fort. Es galt unter Einbindung der bildenden Kunst und der Architektur eine „radikale Eleganz“ zu finden. Dabei wandte er sich zweien deutschen Künstlern als Inspirationsquellen zu, nämlich Blinky Palermo und Isa Genzken. Die Farbpalette ging auf Blinky Palermo zurück; daneben wurde in Arthur Arbesser der grundsätzliche Wunsch nach einem „sauberen Dessin“ erweckt. Demgegenüber brachte ihn die Beschäftigung mit Isa Genzken dazu, ungewöhnliche Paarungen von Materialien auszuprobieren, beispielsweise mit Schwämmen, Honigwaben und gewachstem Nylon. Ein besonders interessanter Aspekt der Kollektion war die Strickkleidung mit Garnen aus transparentem Nylon und 3D-Viskose-Jacquard. Ferner griff er das Polohemd und die Jeansjacke als Thema wieder auf und führte sie neuen Lösungen zu. Die Entwürfe waren androgyn, verloren jedoch nicht die für Arthur Arbesser typische Spannung zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit. Die Silhouetten verkörperten ein Spiel zwischen Räumlichkeit und Raumlosigkeit, Farbe und Transparenz, Stärke und Zerbrechlichkeit. So beschrieb Arthur Arbesser die Unvollkommenheit des Menschen und kommentierte zugleich das Bild, das Menschen gewöhnlich von sich haben.

Für die aktuelle Modeinstallation arbeitete Arthur Arbesser wieder mit dem Mailänder Architekten und Gründer des interdisziplinären Studios „AR.CH.IT“ Luca Cipelletti zusammen. Anstelle des privaten Ambientes bei der letzten Kollektionspräsentation gab es mit der Garage diesmal ein industriell geprägtes Umfeld. Die Garage war überdies ein Teil des Areales „5 VIE“, das als Gebiet zwischen den Untergrundbahnhöfen Cordusio und Sant’Ambrogio eigens für die Modewoche zu einer Oase der Künste und des traditionellen Handwerkes umfunktioniert worden war. Ziel des zugrundeliegenden Projektes „5 VIE art+design“ war es, dieses historische und kulturell bedeutsame Viertel Mailands in der öffentlichen Wahrnehmung aufzuwerten.

Um die Modeinstallation zu gestalten, setzten sich Arthur Arbesser und Luca Cipelletti mit dem aus Brescia stammenden und in Mailand tätigen Künstler Carlo Valsecchi auseinander, obwohl dessen Werke nicht als Inspiration für die Kleiderentwürfe dienten, wenngleich bei den Verwandten im Geiste eine fruchtbare Wechselwirkung zwischen bildender Kunst und Mode nicht auszuschließen war. Heraus kam in Hommage an den schweizerischen Journalisten, Verleger und Galeristen Walter Keller eine Ausstellung für die Dauer der eintägigen Modepräsentation. In mehreren Zimmern posierten Mannequins vor den Bildern. Arthur Arbessers Hang zu ungewöhnlichen und ausgefallenen Präsentationsweisen gipfelte hier in der Verwirrung des Publikums bei der Frage, ob die Mannequins lediglich Kleider vorführten oder eher chic gekleidete Besucher der Bilderausstellung waren.

In der Halle, am Ende des Rundganges durch die Garage, hingen weitere Kleider in strenger Formation von der Decke herab. Dieser Teil der Modeinstallation sollte die klassische Form der Modepräsentation auf den Kopf stellen, um das Publikum dazu anzuregen, mit dem Modeschöpfer in Dialog zu treten. Zur Modeinstallation steuerte die Photographin und Videokünstlerin Samantha Casolari aus New York noch einen Kurzfilm mit dem österreichischen Mannequin Cordula Reyer bei. Darin ging es wie in der Kollektion um das Spiel mit Gegensätzen und Kontrasten. So traf in einer traumhaften Atmosphäre die pure Natur auf ein urbanes Panorama. Die Filmmusik stammte vom amerikanischen Musiker Patrick Wimberly, der als eine Hälfte des Synthypop-Duos „Chairlift“ bekannt ist.


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