Tragbar und elegant

Neue Kleider aus Mailand

Wache für die Modenschau „NICHOLAS K“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 1. November 2014

Die Modemetropole Mailand ist ein Ort, wo der internationale Durchbruch eines Modeschöpfers gelingen kann. Einer der Sprungbretter dafür ist der Modewettbewerb „WHO IS ON NEXT?“.

Im Jahre 2011 errang Angelos Bratis, Absolvent des Modeinstitutes Arnhem in Amsterdam, den ersten Platz des Wettbewerbes dank einer Jury, zu der unter anderem die amerikanische Modekritikerin Suzy Menkes gehörte. Noch im Jahre 2014 zeigte sich Suzy Menkes begeistert, als sie in der Zeitung „The New York Times“ zur Herbst-Winter-Kollektion des aus Athen stammenden und in Mailand tätigen Modeschöpfers schrieb: „Angelos Bratis erreichte es, was oft Jahre der Übung braucht, nämlich so tragbar, so elegant und so leicht zu erscheinen.“ Da war es nicht verwunderlich, daß sie bei der Präsentation der Kollektion für den Frühling und Sommer 2015 in der Veranstaltungsstätte „Teatro Armani“ am 17. Februar 2014 als kritische Zuschauerin nicht fehlte.

Inspirationsquelle waren für Angelos Bratis der „beschnittene“ architektonische Modernismus und die letzten erotischen Bilder des berühmten griechischen Malers Yannis Moralis, der von den 1950er Jahren bis zu den 1970er Jahren die kulturelle Debatte in Griechenland mitbestimmt hatte. Auf der Suche nach der gleichen Spannung zwischen Balance und konzeptorischer Harmonie wie bei Yannis Moralis übernahm Angelos Bratis aus dessen Œvre die pure und abstrakte Annäherung an die Mathematik in Gestalt einer dynamischen Komposition einfacher und grober geometrischer Formen, um letztlich die gleiche kraftvolle und zugleich minimalistische graphische Vision zu verwirklichen. So kreierte er vielseitige Kleider und Kaftans für jeden Frauentyp. Crêpe de Chine für die Kleider, Seidentwill für die Halstücher und teilweise dehnbare Gestelle in Schlangenform als Halsschmuck bildeten das willentlich begrenzte mathematische Vokabular, welches der Modeschöpfer mit Raffinesse einsetzte, um eine charakteristische fehlerfreie und lichtvolle Ästhetik zu schaffen. Die Besonderheit der neuen Kollektion steckte in den meisterlichen Schnitten, der signifikanten Leichtigkeit und der unabhängig windenden Bewegung der Materialien am Körper, was die Befreiung von allen Zwängen und Einschränkungen ohne Verlust der „absoluten Kontrolle“ verdeutlichen sollte.

Eine Spur eingeschnürter Sinnlichkeit, stets mit einer stattlichen linearen Substraktion verfeinert, wirkte distanziert, überaus modern und zeitlos. Schräge Schnitte und das Spiel mit der Diagonalen waren für Angelos Bratis die „frischen“ Mittel, mit denen er die Kollektion leidenschaftlich erschaffen konnte. Die Komposition war so das Ergebnis einer Beschäftigung mit den „Morphologien“ geometrischer Figuren. Rechtecke, Halbkreise und Triangeln waren die Ausgangspunkte für verschiedene Muster. Kaftane mit „rhomboidalen Puzzles“ hatten höchst komplexe Drapierungen, die rigide und plastische Konstruktionen in einer runden und schwungvoll flüssigen Dimension freiließen. Auch die Farbpalette erinnerte an Yannis Moralis’ bevorzugte Töne: Gold, Beige, Pink, sonniges Gelb und Weiß in unergründlicher Tiefe. Schwarze Tupfer und etliche Blaunuancen, von Ultramarinblau bis Nachtblau, bannten das Mysteriöse des nächtlichen Himmels auf die Kleidung. Dazu paßten die von der Schmuckmacherin Maria Mastori entworfenen skulpturalen Juwelen; Holz, Blattgold und Messing waren hier die Materialien für die wie von Meerwasser geglätteten Morphologien. Die Kollektion war somit ein Ausdruck zeitgenössischer Poesie.

Im Hotel „Sheraton Diana Majestic“ wurde nicht alleine die neue Kollektion der Marke „GUCCI“ gezeigt. Parallel dazu gab es die Kollektion „The Eternal Dichotomy“ der Mailänder Modeschöpferin Fatima Valieva zu sehen. Für Fatima Valieva aus der Schweiz stellte sich das Leben, das gemeinhin Realität genannt werde, als einen steten Kampf von Gegensätzen dar. Helligkeit und Dunkelheit, gut und böse, Vergangenheit und Zukunft seien die wechselseitigen Antriebskräfte, welche die Welt in Bewegung hielten, während die Harmonie der Energien für das nötige Gleichgewicht in der Umwelt sorge. Jeder Mensch trage letztendlich einen Januskopf in sich. Die Kollektion war in Fatima Valievas Lieblingsfarben gehalten: Giftgrün als Farbe des Alarms vor Gefahren und der Wiedergeburt, Schwarz als Farbe der Abspaltung von der realen Welt und des Nichts, Puderrosa als Farbe der Zärtlichkeit und unendlichen Liebe sowie Beige als Farbe der schönen Welt und der Wiege anmutiger Ideen. Die Kollektion verkörperte nach der Intention der Modeschöpferin die modische Vision für eine moderne, streitbare, sich ihrer Weiblichkeit und Fragilität bewußte Frau, um jeden Tag aufs neue wie Phönix aus der Asche aufzusteigen. Zartheit und Stärke in der Kollektion bildeten in ihrer Ausgewogenheit dafür den perfekten Widerpart.

In der neuen, im Palazzo Clerici gezeigten Kollektion der Marke „Chicca Lualdi BeeQueen“ der Mailänder Modeschöpferin Chicca Lualdi nahmen „Kontaminationen“ in harmonischen Farben, Drucken und Grafiken, die von geometrischen Mustern bis zu modernen Paisleys reichten, Gestalt an. Die strengen Linien der 1960er Jahre spiegelte sich in den Kleidern und Mänteln wider, während die Westen, Röcke – mit ihren konkreten Längen –, Jacken und Schlaghosen das Flair der 1970er Jahre wiederaufleben ließen. Eine zeitgemäße Mischung aus überarbeiteten Formen und Volumen sorgte für Frische, Natürlichkeit, Nüchternheit und Weiblichkeit. Die Farbpalette umfaßte reines Weiß, Kalkweiß, Ocker und Salbeigrün. Jacquard-Duchesseseide mit geometrische Mustern, Paisleys auf Baumwolleinen, Organzastreifen, geschorener und dicker Taft als Materialmix, Leder sowie Matten aus Baumwolleinen fanden Verwendung.

Die Kleider im Stile der 1960er Jahre hatten gefranste Reißverschlüsse und bestachen durch ihren farblichen und materiellen Kontrast. Übertriebene Röcke in Kalbslänge, in voller Farbe oder bedruckt, wurden mit modernen Hemden und Blazern kombiniert. Ballonröcke reichten bis an die Gürtellinie. Männlich anmutende Hemden mit Kontrastkragen sollten Shorts zeitgenössischer machen. Auch Hosen mit einer Mischung aus männlicher und weiblicher Note kamen vor. Den Abschluß bildeten lange, lineare Baumwollkleider für einen glamourösen Auftritt am Tage. Die Botschaft der Kollektion lautete, daß Mode das Instrument der Kreativität sei, um täglich zu faszinieren in der Gewißheit, daß die harmonischen Elemente und die Qualität einer frischen Strenge, die Weiblichkeit durch Farbe ausmachten, attraktiver seien als ein vorhersehbarer, nicht mehr zeitgemäßer Kontrast.


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