Laß’ ihn ’raus, den Tiger!

Mode heiß und verführerisch

Das Mannequin Hadassa Lima und ein Stofftiger – wer ist hier die größere Raubkatze? (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 8. August 2014

Die Modemetropole Paris ist immer für eine Premiere gut. Der kanadische Modeschöpfer Antonio Ortega mit mexikanischen Wurzeln hatte zehn Jahre lang seine Kollektionen in Montréal, Toronto und New York präsentiert. Nun war es für ihn an der Zeit, den Sprung über den atlantischen Ozean zu wagen und die neue Kollektion in Paris zu zeigen.

Im Festsaale der Bürgermeisterei des 4. Arrondissements wartete Antonio Ortega am 9. Juli 2014 mit diskreten, beinahe unmerklichen Details und unerwarteten Kontrasten auf. Die erste Pariser Kollektion war voller Überraschungen. Sechsunddreißig Silhouetten waren das Ergebnis einer herausfordernden Inspiration aus der Kreuzung und Vermischung zusammenprallender Kulturen. Laufmaschenstiche dominieren die Kleidungsstücke, wo traditionelle Stickerei die Stoffe begrenzt. Die Kollektion offenbarte ihre universelle Herkunft: die Transformation des Materials durch Extrahieren seiner Fäden. Die so gewonnene Identität der Kollektion rechtfertigte sich daraus, daß sich der Modeschöpfer immer und immer wieder in der Welt mit ihren Allegorien umgeschaut hatte und daß er dabei auf eine seit unermeßlicher Zeit existierende unbarmherzige Bestie, zugleich nahe und weitentfernt, gestoßen war: die Schlange. In dieser Symbolik war die Schlange ein die Vorstellungswelt der Menschen beherrschendes Wesen gleich Medusa mit ihren Schlangenhaaren in der altgriechischen Mythologie, wie die biblische Schlange der Ursünde, wie der im Alten Ägypten verehrte Uräus, wie der gefiederte Quetzalcoatl bei den Azteken.

Für Antonio Ortega bedeutete die Schlange mit ihren mannigfachen Bedeutungen und Anbetungsarten nicht bloß Schrecken; sie stand als Phallussymbol auch für Sinnlichkeit und Sexualität. Neben der fließenden Fortbewegung und der Fertigkeit des Windens faszinierte ihn die luxuriöse schuppige Haut, denn deren gelegentliches Abstreifen versinnbildliche den Wechsel in der Mode im engeren Sinne, nämlich den Austausch des getragenen Kleides für ein anderes. Die Kollektion, deren besondere Stücke Wickelröcke waren, wies überbordende Transparenz, unvollendete Abschlüsse, sich abwechselnde glänzende Materialien, Tätowierungen auf Leder und bestickte Guipure (Ätzspitzen) auf. Über Seide, Kaschmirwolle und Lammfell hinaus trafen natürliche Materialien wie Hanf auf künstliche Materialien wie eine selten verwandte Zellulosefaser auf der Grundlage des Eukalyptusfruchtfleisches. Bei all dem durften in Erinnerung an die gefiederte Schlange Federn nicht fehlen. Antonio Ortega schuf eine Kollektion für die „urbane Pocahontas von heute und morgen“, chic und stilvoll, zum Zerstampfen der allseits asphaltierten Wege und zum Spielen der Gorgone moderner Zeit.

Im Palais de Tokyo bezauberte die neue Kollektion des libanesischen Modeschöpfers Georges Chakra das Publikum. Inspiration fand er dazu in den Meisterwerken der Photographen Richard Avedon und Irving Pen aus den 1950er Jahren. Georges Chakras neue „Heldinnen“ waren der Inbegriff des Glamours, waren wert auf königlichen Hofbällen zu glänzen. Graziöse and imperiale Silhouetten. Das Cape, der „Zeremonienmeister“, kam in mehreren Versionen vor: kurz, lang, umgekehrt. Den nackten Rücken gaben transparente oder graphische Ausschnitte preis. Für den hohen Grad an Feinheit sorgten weicher Samt, schillernde Seidenorganza, Brokat, digital gedruckter Seidengaze, Bast, mit Blumen bedeckter Tüll und Pelz mit Reihen von Pailletten. Die Farbpalette umfaßte Rubinrot, Hellrot, Aubergine, Saphirblau, Entenblau, Gold, Silber und Schwarz. Geometrische und graphische Pailletten illuminierten die tiefen Farbtöne. Weiche Romantik und Moderne mischend, stand das florale Brautkleid am Ende der Modenschau für Eleganz und Glamour.

In einem Appartement stellte sich der französisch-amerikanische Modeschöpfer Alexandre Delima mit einer vierzehn verschiedene Silhouetten umfassenden Kollektion dem Pariser Publikum vor. Die Kollektion „NUIT BLANCHE“ reichte von Tageskleidern bis Abendroben. Mit „ultimativer Perfektion“ und wiederentdeckter Tradition wagte der aus Peru stammende Modeschöpfer den ersten klugen Schritt in eine „akrobatische Übung“. Die dafür notwendige Reife hatte er über fünf Jahre hinweg als Assistent des Modeschöpfers Christophe Josse erlangt. Als großer Anhänger des Nachtlebens und der Clubszene ließ sich der ehemalige Diskjockey Alexandre Delima von der Hip-Hop-Musik wie daneben von der Sportwelt und von Science-Fiction-Filmen inspirieren. Der daraus entstandene glamouröse Chic war etwas für Stars.

Eine erstaunliche Modernität zeigte sich in Perfecto-Jacken und Teddy-Jacken aus gefärbten Lammfellen. Transparenz und Verhüllung sowie Mattigkeit und Leuchtkraft wie auch „konstruierte Fluidität“ waren die Elemente, mit denen der Modeschöpfer voller Leichtigkeit spielte. Auf der Farbpalette waren Weiß, Kohlengrau, Anthrazit und Schwarz zu finden. Farbliche Kontrapunkte setzten Nattier-Blau und dunkles Smaragdgrün. Unter den edlen Materialien befand sich beispielsweise Pythonleder. Die Geometrie der metallischen Agraffenstickerei im Stile des amerikanischen Bildhauers Alexander Calder, manchmal in scheinbarer Schwebe, prägten ebenso wie die breit ausgeführten Schnitte die Kollektion. Starre und gewundene Gürtel und Korsetts aus feinem goldplattiertem Messing formten zarte Silhouetten; wie Schildpatt wirkendes Zelluloseazetat war hier auch ein beliebtes Material. Sie kündigten das künftige Markenzeichen Alexandre Delimas an. Energie und Katzenartigkeit bedeuteten für ihn die Essenz des ewigen weiblichen Ideales.


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