Die Modemetropole Paris ist immer für eine Premiere gut. Der kanadische Modeschöpfer Antonio Ortega mit mexikanischen Wurzeln hatte zehn Jahre lang seine Kollektionen in Montréal, Toronto und New York präsentiert. Nun war es für ihn an der Zeit, den Sprung über den atlantischen Ozean zu wagen und die neue Kollektion in Paris zu zeigen.
Im Festsaale der Bürgermeisterei des
4. Arrondissements wartete Antonio Ortega am 9. Juli 2014 mit
diskreten, beinahe unmerklichen Details und unerwarteten Kontrasten
auf. Die erste Pariser Kollektion war voller Überraschungen.
Sechsunddreißig Silhouetten waren das Ergebnis einer
herausfordernden Inspiration aus der Kreuzung und Vermischung
zusammenprallender Kulturen. Laufmaschenstiche dominieren die
Kleidungsstücke, wo traditionelle Stickerei die Stoffe begrenzt.
Die Kollektion offenbarte ihre universelle Herkunft: die Transformation
des Materials durch Extrahieren seiner Fäden. Die so gewonnene
Identität der Kollektion rechtfertigte sich daraus, daß sich
der Modeschöpfer immer und immer wieder in der Welt mit ihren
Allegorien umgeschaut hatte und daß er dabei auf eine seit
unermeßlicher Zeit existierende unbarmherzige Bestie, zugleich
nahe und weitentfernt, gestoßen war: die Schlange. In dieser
Symbolik war die Schlange ein die Vorstellungswelt der Menschen
beherrschendes Wesen gleich Medusa mit ihren Schlangenhaaren in der
altgriechischen Mythologie, wie die biblische Schlange der
Ursünde, wie der im Alten Ägypten verehrte Uräus, wie
der gefiederte Quetzalcoatl bei den Azteken.
Für Antonio Ortega bedeutete die
Schlange mit ihren mannigfachen Bedeutungen und Anbetungsarten nicht
bloß Schrecken; sie stand als Phallussymbol auch für
Sinnlichkeit und Sexualität. Neben der fließenden
Fortbewegung und der Fertigkeit des Windens faszinierte ihn die
luxuriöse schuppige Haut, denn deren gelegentliches Abstreifen
versinnbildliche den Wechsel in der Mode im engeren Sinne, nämlich
den Austausch des getragenen Kleides für ein anderes. Die
Kollektion, deren besondere Stücke Wickelröcke waren, wies
überbordende Transparenz, unvollendete Abschlüsse, sich
abwechselnde glänzende Materialien, Tätowierungen auf Leder
und bestickte Guipure (Ätzspitzen) auf. Über Seide,
Kaschmirwolle und Lammfell hinaus trafen natürliche Materialien
wie Hanf auf künstliche Materialien wie eine selten verwandte
Zellulosefaser auf der Grundlage des Eukalyptusfruchtfleisches. Bei all
dem durften in Erinnerung an die gefiederte Schlange Federn nicht
fehlen. Antonio Ortega schuf eine Kollektion für die „urbane
Pocahontas von heute und morgen“, chic und stilvoll, zum Zerstampfen
der allseits asphaltierten Wege und zum Spielen der Gorgone moderner
Zeit.
Im Palais de Tokyo bezauberte die neue
Kollektion des libanesischen Modeschöpfers Georges Chakra das
Publikum. Inspiration fand er dazu in den Meisterwerken der
Photographen Richard Avedon und Irving Pen aus den 1950er Jahren.
Georges Chakras neue „Heldinnen“ waren der Inbegriff des Glamours,
waren wert auf königlichen Hofbällen zu glänzen.
Graziöse and imperiale Silhouetten. Das Cape, der
„Zeremonienmeister“, kam in mehreren Versionen vor: kurz, lang,
umgekehrt. Den nackten Rücken gaben transparente oder graphische
Ausschnitte preis. Für den hohen Grad an Feinheit sorgten weicher
Samt, schillernde Seidenorganza, Brokat, digital gedruckter Seidengaze,
Bast, mit Blumen bedeckter Tüll und Pelz mit Reihen von
Pailletten. Die Farbpalette umfaßte Rubinrot, Hellrot, Aubergine,
Saphirblau, Entenblau, Gold, Silber und Schwarz. Geometrische und
graphische Pailletten illuminierten die tiefen Farbtöne. Weiche
Romantik und Moderne mischend, stand das florale Brautkleid am Ende der
Modenschau für Eleganz und Glamour.
In einem Appartement stellte sich der
französisch-amerikanische Modeschöpfer Alexandre Delima mit
einer vierzehn verschiedene Silhouetten umfassenden Kollektion dem
Pariser Publikum vor. Die Kollektion „NUIT BLANCHE“ reichte von
Tageskleidern bis Abendroben. Mit „ultimativer Perfektion“ und
wiederentdeckter Tradition wagte der aus Peru stammende
Modeschöpfer den ersten klugen Schritt in eine „akrobatische
Übung“. Die dafür notwendige Reife hatte er über
fünf Jahre hinweg als Assistent des Modeschöpfers Christophe
Josse erlangt. Als großer Anhänger des Nachtlebens und der
Clubszene ließ sich der ehemalige Diskjockey Alexandre Delima von
der Hip-Hop-Musik wie daneben von der Sportwelt und von
Science-Fiction-Filmen inspirieren. Der daraus entstandene
glamouröse Chic war etwas für Stars.
Eine erstaunliche Modernität zeigte
sich in Perfecto-Jacken und Teddy-Jacken aus gefärbten Lammfellen.
Transparenz und Verhüllung sowie Mattigkeit und Leuchtkraft wie
auch „konstruierte Fluidität“ waren die Elemente, mit denen der
Modeschöpfer voller Leichtigkeit spielte. Auf der Farbpalette
waren Weiß, Kohlengrau, Anthrazit und Schwarz zu finden.
Farbliche Kontrapunkte setzten Nattier-Blau und dunkles
Smaragdgrün. Unter den edlen Materialien befand sich
beispielsweise Pythonleder. Die Geometrie der metallischen
Agraffenstickerei im Stile des amerikanischen Bildhauers Alexander
Calder, manchmal in scheinbarer Schwebe, prägten ebenso wie die
breit ausgeführten Schnitte die Kollektion. Starre und gewundene
Gürtel und Korsetts aus feinem goldplattiertem Messing formten
zarte Silhouetten; wie Schildpatt wirkendes Zelluloseazetat war hier
auch ein beliebtes Material. Sie kündigten das künftige
Markenzeichen Alexandre Delimas an. Energie und Katzenartigkeit
bedeuteten für ihn die Essenz des ewigen weiblichen Ideales.