Die Regenschirme von Paris

Mode in revolutionärer Umgebung

Finale der Modenschau „RAD HOURANI“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 7. August 2014

Traditionell liegt die zweite Haute-Couture-Woche eines Kalenderjahres mitten im Sommer. Dies verführt manche Modeschöpfer dazu, ihre neuen Kleider unter freiem Himmel zu präsentieren. Doch manchmal kann eine Modepräsentation gewissermaßen ins Wasser fallen, wenn das Wetter nicht mitspielt.

Der Modeschöpfer Rad Hourani zeigte seine Kollektion für den Herbst und Winter 2014 wie im Vorjahre im Garten der Botschaft von Kanada. Diesmal allerdings standen die Mannequins und Gäste sozusagen im Regen; genauer gesagt, saßen die Gäste, während die Mannequins liefen. Vorsorglich hatten die Gastgeber am 9. Juli 2014 für die Gäste Regenschirme ausgelegt. Obgleich die Mannequins – wie übrigens auch die Photographen – gegen die Regentropfen anzukämpfen hatten, verlief die Modenschau zügig und geordnet.

Rad Hourani, der aus Jordanien stammt, mit einem jordanisch-kanadischen Vater und einer syrischen Mutter, ist nicht nur ethnokulturell vielseitig, sondern auch im Hinblicke auf seine Tätigkeiten. So ist der vormalige „Model Scout“ und „Stylist“ heute nicht bloß ein Modeschöpfer, ein Photograph, ein Filmemacher oder ein Künstler; er ist vielmehr alles in einem. Sein Werk ist eine aufmerksame Studie des menschlichen Körpers, welche nach eigener Intention die Neutralität als Charakterzug definiert. Die Uniformität seiner Kollektionen hat eine solch besondere Sprache, die der Konvention trotzt. Der Nonkonformismus ist Verwirklichung des Individualismus. Frei von Regeln, Geschlechterrollen, Altersvorgaben, gesellschaftlichen Zwängen und jahreszeitlichen Erfordernissen gestaltet sich Rad Hourani eine eigene Moderne, die Vision eines vollends selbstbestimmten Lebens. Anfangs stellt er sich die Kleider wie ein Bild vor; der Sinn für Kuriosität und Unschuld leitet dann den weiteren Schaffensprozeß. Obwohl Rad Hourani beim kreativen Schaffen architektonische Prinzipien nutzt, hat er stets ein Auge dafür, wie die Kleidungsstücke in der Bewegung wirken sollen. Die Kollektionen numeriert er ohne Rücksicht auf Jahreszeiten und Trends, um deren Zeitlosigkeit zu verdeutlichen.

Rad Hourani stellte seine „Unisex“-Marke erstmals im Jahre 2007 in Paris der Öffentlichkeit vor. Vom Jahre 2008 an folgten regelmäßige Modepräsentationen in New York. Im Jahre 2013 lud ihn die Chambre syndicale de la Haute Couture nach Paris ein, wo er seither seine neuen Haute-Couture-Kollektionen auf Defilees präsentiert. Die Prêt-à-porter-Kollektionen sind hingegen bei seinen photographischen Ausstellungen im eigenen, im Jahre 2012 eröffneten Pariser Laden zu sehen. Daneben eröffnete er in diesem Jahre einen weiteren Laden im kanadischen Montréal. Wie Origami schienen seine aktuellen Modelle ihre eigenen magischen Falten zu haben, was den Trägern ermöglichen sollte, sich komfortabel, mächtig und zeitlos zu fühlen. Schwarz, weiß und laubgrün waren die Hosenanzüge.

Für den Modeschöpfer Dany Atrache war diesmal die Revolution das Stichwort. Er veranstaltete seine Modenschau in historischen Räumen, denn er hatte sich das ehemalige Appartement des Revolutionärs Maximilien de Robespierre in der Nähe des Jardin des Tuileries ausgesucht. Mit seiner neuen, romantischen Kollektion verneigte er sich vor der Moderevolution der 1960er Jahre mit ihren Veränderungen bei den Bekleidungsregeln und Innovationen bei den Kleidungsstücken. Für die Inkarnation der modernen Frau mit „frecher Schönheit“ und „anmaßendem Gange“ galt es nunmehr nach der Intention des Pariser Modeschöpfers mit libanesischen Wurzeln die „poetische Sensibilität“ zu entschleiern. Insofern sollte sie sich an mit Spitze und Stickerei gemischten Hosen heranwagen. Mit oder ohne Jacke sollte sie dennoch sehr feminin aussehen. Die Kleidung sollte ihr zur zweiten Haut werden. Dany Atrache spielte dazu mit Grau- und Blautönen, wobei Türkis und Nachtblau hervortraten; daneben kamen die Rottöne als Rose, Fuchsia und Blut vor.

Eine Modeinstallation ohne Mannequins in der Galerie „RTR“ sah diesmal das Konzept der Pariser Modeschöpferin Tran Thi Thanh Nga aus Vietnam für die Kollektion „Chaos Control“ ihrer Marke „DEFINED MOMENT“ vor. Auf der „Jagd“ nach den metaphysischen Prinzipien zeitloser Schönheit abseits des von der Gesellschaft vorgegebenen Schönheitsideals ließ sie sich von der Chaostheorie inspirieren. Das Resultat war eine Überarbeitung der traditionellen Faltentechnik. Während die Wollfalten herkömmlicherweise strikten Regeln folgen in einer sich wiederholenden, linearen Weise, führte Tran Thi Thanh Nga besondere Faltenpunkte ein, die es den Wollfäden ermöglichte, vom üblichen Pfade frei in eine neue Richtung zu wechseln. Dies galt ebenso für die Verwendung von Metallfäden, wenn selbige den Faltenpunkt verlassen hatten. Hier verwirklichte sich der Schmetterlingseffekt der Chaostheorie, wonach ein kleiner Auslöser letzten Endes eine große Wirkung haben kann.

Die kreative Gestaltung griff die komplexe Natur der Schönheit in ihren winzigsten Details mit ihren festen Strukturen auf, vermied aber gleichwohl den Eindruck von Leichtigkeit nicht. Die eng am Körper zu tragenden Textilien bestanden aus übereinander liegenden Schichten verschiedener Materialien wie Schurwolle und Baumwolle, die kompakt gegeneinander gepreßt waren. Mit Puderpinseln angebrachte Farbpunkte bedeckten andere Textilien. Der Anstrich gab einer weiteren, dicken Schicht eine 3D-Optik fürs ganze Kleidungsstück. Form und Farbe des Kleides sollten den „inneren Charakter und Geist“ der Trägerin hervorheben. Um nicht nur der Trägerin Befriedigung zu verschaffen, sondern auch den Mitmenschen, sollten sich die „weibliche DNA“ und das Kleid – innere Werte und äußere Erscheinung – endlich zu einer beständigen Schönheit vereinen, so wie der menschliche Organismus ein Spiegel des genetisches Codes ist.


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