Traditionell liegt die zweite Haute-Couture-Woche eines Kalenderjahres mitten im Sommer. Dies verführt manche Modeschöpfer dazu, ihre neuen Kleider unter freiem Himmel zu präsentieren. Doch manchmal kann eine Modepräsentation gewissermaßen ins Wasser fallen, wenn das Wetter nicht mitspielt.
Der Modeschöpfer Rad Hourani zeigte
seine Kollektion für den Herbst und Winter 2014 wie im Vorjahre im
Garten der Botschaft von Kanada. Diesmal allerdings standen die
Mannequins und Gäste sozusagen im Regen; genauer gesagt,
saßen die Gäste, während die Mannequins liefen.
Vorsorglich hatten die Gastgeber am 9. Juli 2014 für die
Gäste Regenschirme ausgelegt. Obgleich die Mannequins – wie
übrigens auch die Photographen – gegen die Regentropfen
anzukämpfen hatten, verlief die Modenschau zügig und geordnet.
Rad Hourani, der aus Jordanien stammt, mit
einem jordanisch-kanadischen Vater und einer syrischen Mutter, ist
nicht nur ethnokulturell vielseitig, sondern auch im Hinblicke auf
seine Tätigkeiten. So ist der vormalige „Model Scout“ und
„Stylist“ heute nicht bloß ein Modeschöpfer, ein Photograph,
ein Filmemacher oder ein Künstler; er ist vielmehr alles in einem.
Sein Werk ist eine aufmerksame Studie des menschlichen Körpers,
welche nach eigener Intention die Neutralität als Charakterzug
definiert. Die Uniformität seiner Kollektionen hat eine solch
besondere Sprache, die der Konvention trotzt. Der Nonkonformismus ist
Verwirklichung des Individualismus. Frei von Regeln,
Geschlechterrollen, Altersvorgaben, gesellschaftlichen Zwängen und
jahreszeitlichen Erfordernissen gestaltet sich Rad Hourani eine eigene
Moderne, die Vision eines vollends selbstbestimmten Lebens. Anfangs
stellt er sich die Kleider wie ein Bild vor; der Sinn für
Kuriosität und Unschuld leitet dann den weiteren
Schaffensprozeß. Obwohl Rad Hourani beim kreativen Schaffen
architektonische Prinzipien nutzt, hat er stets ein Auge dafür,
wie die Kleidungsstücke in der Bewegung wirken sollen. Die
Kollektionen numeriert er ohne Rücksicht auf Jahreszeiten und
Trends, um deren Zeitlosigkeit zu verdeutlichen.
Rad Hourani stellte seine „Unisex“-Marke
erstmals im Jahre 2007 in Paris der Öffentlichkeit vor. Vom Jahre
2008 an folgten regelmäßige Modepräsentationen in New
York. Im Jahre 2013 lud ihn die Chambre syndicale de la Haute Couture
nach Paris ein, wo er seither seine neuen Haute-Couture-Kollektionen
auf Defilees präsentiert. Die
Prêt-à-porter-Kollektionen sind hingegen bei seinen
photographischen Ausstellungen im eigenen, im Jahre 2012
eröffneten Pariser Laden zu sehen. Daneben eröffnete er in
diesem Jahre einen weiteren Laden im kanadischen Montréal. Wie
Origami schienen seine aktuellen Modelle ihre eigenen magischen Falten
zu haben, was den Trägern ermöglichen sollte, sich
komfortabel, mächtig und zeitlos zu fühlen. Schwarz,
weiß und laubgrün waren die Hosenanzüge.
Für den Modeschöpfer Dany
Atrache war diesmal die Revolution das Stichwort. Er veranstaltete
seine Modenschau in historischen Räumen, denn er hatte sich das
ehemalige Appartement des Revolutionärs Maximilien de Robespierre
in der Nähe des Jardin des Tuileries ausgesucht. Mit seiner neuen,
romantischen Kollektion verneigte er sich vor der Moderevolution der
1960er Jahre mit ihren Veränderungen bei den Bekleidungsregeln und
Innovationen bei den Kleidungsstücken. Für die Inkarnation
der modernen Frau mit „frecher Schönheit“ und „anmaßendem
Gange“ galt es nunmehr nach der Intention des Pariser
Modeschöpfers mit libanesischen Wurzeln die „poetische
Sensibilität“ zu entschleiern. Insofern sollte sie sich an mit
Spitze und Stickerei gemischten Hosen heranwagen. Mit oder ohne Jacke
sollte sie dennoch sehr feminin aussehen. Die Kleidung sollte ihr zur
zweiten Haut werden. Dany Atrache spielte dazu mit Grau- und
Blautönen, wobei Türkis und Nachtblau hervortraten; daneben
kamen die Rottöne als Rose, Fuchsia und Blut vor.
Eine Modeinstallation ohne Mannequins in der Galerie „RTR“ sah diesmal das Konzept der Pariser Modeschöpferin Tran Thi Thanh Nga aus Vietnam für die Kollektion „Chaos Control“ ihrer Marke „DEFINED MOMENT“ vor. Auf der „Jagd“ nach den metaphysischen Prinzipien zeitloser Schönheit abseits des von der Gesellschaft vorgegebenen Schönheitsideals ließ sie sich von der Chaostheorie inspirieren. Das Resultat war eine Überarbeitung der traditionellen Faltentechnik. Während die Wollfalten herkömmlicherweise strikten Regeln folgen in einer sich wiederholenden, linearen Weise, führte Tran Thi Thanh Nga besondere Faltenpunkte ein, die es den Wollfäden ermöglichte, vom üblichen Pfade frei in eine neue Richtung zu wechseln. Dies galt ebenso für die Verwendung von Metallfäden, wenn selbige den Faltenpunkt verlassen hatten. Hier verwirklichte sich der Schmetterlingseffekt der Chaostheorie, wonach ein kleiner Auslöser letzten Endes eine große Wirkung haben kann.
Die kreative Gestaltung griff die komplexe
Natur der Schönheit in ihren winzigsten Details mit ihren festen
Strukturen auf, vermied aber gleichwohl den Eindruck von Leichtigkeit
nicht. Die eng am Körper zu tragenden Textilien bestanden aus
übereinander liegenden Schichten verschiedener Materialien wie
Schurwolle und Baumwolle, die kompakt gegeneinander gepreßt
waren. Mit Puderpinseln angebrachte Farbpunkte bedeckten andere
Textilien. Der Anstrich gab einer weiteren, dicken Schicht eine
3D-Optik fürs ganze Kleidungsstück. Form und Farbe des
Kleides sollten den „inneren Charakter und Geist“ der Trägerin
hervorheben. Um nicht nur der Trägerin Befriedigung zu
verschaffen, sondern auch den Mitmenschen, sollten sich die „weibliche
DNA“ und das Kleid – innere Werte und äußere Erscheinung –
endlich zu einer beständigen Schönheit vereinen, so wie der
menschliche Organismus ein Spiegel des genetisches Codes ist.