Der vierte Stern

Mode versus Fußball

Belagerungszustand – das Mannequin Maggie Laine und Photographen nach der Modenschau „CHANEL“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 6. August 2014

In dieser Saison fielen die Haute-Couture-Schauen in Paris zeitlich mit den Spielen der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien zusammen. Am 8. Juli 2014 erreichte die Spannung den Höhepunkt, als die bundesdeutsche Mannschaft die brasilianische Mannschaft mit vielen Toren arg in Bedrängnis brachte. Die sensationellen Tormeldungen drangen bis in den öffentlichen Nahverkehr vor. So mancher Besucher in der Modewoche hatte sich nun spontan zwischen der Teilnahme an einer der Modeveranstaltungen wie der Party des Modeschöpfers Julien Fournié und der Verfolgung des einmaligen sportlichen Ereignisses übers Fernsehen zu entscheiden …

Da war die Modenschau des libanesischen Modeschöpfers Tony Ward im Festsaale der Bürgermeisterei des 4. Arrondissements glücklicherweise längst vorbei. Für die neue Kollektion, welche die gewaltigen und widerstreitenden Kräfte der Natur ausdrücken sollte, schöpfte Tony Ward die Inspiration aus dem Gemälde „Schneesturm: Hannibal und seine Armee überqueren die Alpen“ des britischen Malers William Turner. So wie Wind, Regen und Wolken zusammen mit einer kraftvollen, kontrastreichen Mischung von Lichtern und Schatten eine dramatische romantische Landschaft ausmachen, wechselten sich in der Kollektion warme und erdige Farbtöne mit wässerigen ab. Materialien wie Leder, Jacquardseide und handbemalte Seide bildeten ein „Patchwork“, dessen Farbkombinationen die Texturen eines Ölgemäldes imitierten. Große Volumen gemahnten an Gewitter und Sturm. Senkrechte Linien und stürzende Halslinien trafen auf Jacken mit hohem Kragen, die an barocke Zeiten erinnerten. Verwickelte Einlagen aus feiner Spitze setzten sich von rauheren Grundmaterialien ab. Eine sehr feminine Silhouette galt starken Frauen, deren Schönheit und Charakter sich in ihren Modeaussagen widerspiegeln sollten.

In der Veranstaltungsstätte „Salle des Colonnes“ nahe der Kirche Saint-Eustache stellte am 9. Juli 2014 die Modeschöpferin Coppélia Pique ihre Kollektion „NIKI WITH LOVE“ vor. Sie war mehr ein Tribut als eine Studie der Werke der bildenden Künstlerin Niki de Saint Phalle, voll von sich öffnender Weiblichkeit und Liebe. Die Mischung der Materialien – Chiffon, Seidenorganza, Seidenkrepp, Kaschmirwolle, Federn, Muscheln, Perlen, Metall, Goldfolie, Silberfolie, Mosaike und Harz – verband Kunst und Handwerk und offenbarte zugleich die verschiedenen Elemente, die ein Künstlerleben ausmachen. Aus der Verbindung dieser Elemente ergab sich eine androgyne Erscheinung, deren ungewöhnliche Ausmaße die Handschrift der Marke ausmachten. Mit Coppélia Piques Kleidung in Auseinandersetzung mit Niki de Saint Phalles Kunstwerken sollte der weibliche Körper ebenso ein Kunstwerk werden.

Hinter der Schmuckmarke „VASKOLG PARIS“ steht die Pariser Modeschöpferin Olga Kiwerski, die in einer künstlerischen Umgebung aufgewachsen war, durch die ganze Welt gereist war und kreative Experimente mit Leidenschaft betrieben hatte. Sie bevorzugt architektonisch und rhythmisch gestaltete Schmuckstücke in begrenzter Anzahl oder als Einzelstück. Höchste Sensibilität, dichte natürliche Kuriosität und Instinkt finden sich in den Stücken wieder. Sie spiegeln den Hang der Modeschöpferin zum gefährlichen Leben wider, und zwar auf einer Skala von leichter zu schwerer „Giftigkeit“. Olga Kiwerski haucht den Stücken eine barocke Seele ein, reflektiert mit ihnen die Gegenwart und legt in ihnen den Keim der Zukunft an.

Die neue Kollektion „EYE“ mit den aus der Fassung geratenen Proportionen erzählte nun die Geschichte ihrer Reise nach Indien. Ornamentale Pracht bot Zerstreuung, war eine Einladung zum Träumen und versprach Zuversicht. Die Materialien drückten starke Gefühle und eine ökologische Philosophie aus: Gold- und Silberfäden, Lavasteine, Metall, Federn, Rosetten, Kristalle, Leder, Papier, Labradorit, Onyx, alte Sariwildseide, Perlen, Korallen, Keramik sowie Holz. Hinzu kamen neue Technologien wie Audio-Player, „Articulated Light System“, USB-Stecker. Ocker und Scharlachrot durchbrachen die graue, weiße oder silberfarbene Monochromie der Halsketten. Über allem schwebte ein Ausspruch der Schweizer Malerin und Dichterin Meret Oppenheim: „Freiheit wird uns nicht gegeben, wir müssen sie uns nehmen.“ In dieser Saison erschien die Trägerin als „triumphierende, edle Amazone mit funkelnden Schutzwaffen“. Letztlich verstehen sich Olga Kiwerskis Schmuckstücke nicht als bloße Accessoires, sondern als eigenständige Skulpturen.


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