In dieser Saison fielen die Haute-Couture-Schauen in Paris zeitlich mit den Spielen der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien zusammen. Am 8. Juli 2014 erreichte die Spannung den Höhepunkt, als die bundesdeutsche Mannschaft die brasilianische Mannschaft mit vielen Toren arg in Bedrängnis brachte. Die sensationellen Tormeldungen drangen bis in den öffentlichen Nahverkehr vor. So mancher Besucher in der Modewoche hatte sich nun spontan zwischen der Teilnahme an einer der Modeveranstaltungen wie der Party des Modeschöpfers Julien Fournié und der Verfolgung des einmaligen sportlichen Ereignisses übers Fernsehen zu entscheiden …
Da war die Modenschau des libanesischen
Modeschöpfers Tony Ward im Festsaale der Bürgermeisterei des
4. Arrondissements glücklicherweise längst vorbei. Für
die neue Kollektion, welche die gewaltigen und widerstreitenden
Kräfte der Natur ausdrücken sollte, schöpfte Tony Ward
die Inspiration aus dem Gemälde „Schneesturm: Hannibal und seine
Armee überqueren die Alpen“ des britischen Malers William Turner.
So wie Wind, Regen und Wolken zusammen mit einer kraftvollen,
kontrastreichen Mischung von Lichtern und Schatten eine dramatische
romantische Landschaft ausmachen, wechselten sich in der Kollektion
warme und erdige Farbtöne mit wässerigen ab. Materialien wie
Leder, Jacquardseide und handbemalte Seide bildeten ein „Patchwork“,
dessen Farbkombinationen die Texturen eines Ölgemäldes
imitierten. Große Volumen gemahnten an Gewitter und Sturm.
Senkrechte Linien und stürzende Halslinien trafen auf Jacken mit
hohem Kragen, die an barocke Zeiten erinnerten. Verwickelte Einlagen
aus feiner Spitze setzten sich von rauheren Grundmaterialien ab. Eine
sehr feminine Silhouette galt starken Frauen, deren Schönheit und
Charakter sich in ihren Modeaussagen widerspiegeln sollten.
In der Veranstaltungsstätte „Salle
des Colonnes“ nahe der Kirche Saint-Eustache stellte am 9. Juli 2014
die Modeschöpferin Coppélia Pique ihre Kollektion „NIKI
WITH LOVE“ vor. Sie war mehr ein Tribut als eine Studie der Werke der
bildenden Künstlerin Niki de Saint Phalle, voll von sich
öffnender Weiblichkeit und Liebe. Die Mischung der Materialien –
Chiffon, Seidenorganza, Seidenkrepp, Kaschmirwolle, Federn, Muscheln,
Perlen, Metall, Goldfolie, Silberfolie, Mosaike und Harz – verband
Kunst und Handwerk und offenbarte zugleich die verschiedenen Elemente,
die ein Künstlerleben ausmachen. Aus der Verbindung dieser
Elemente ergab sich eine androgyne Erscheinung, deren
ungewöhnliche Ausmaße die Handschrift der Marke ausmachten.
Mit Coppélia Piques Kleidung in Auseinandersetzung mit Niki de
Saint Phalles Kunstwerken sollte der weibliche Körper ebenso ein
Kunstwerk werden.
Hinter der Schmuckmarke „VASKOLG PARIS“
steht die Pariser Modeschöpferin Olga Kiwerski, die in einer
künstlerischen Umgebung aufgewachsen war, durch die ganze Welt
gereist war und kreative Experimente mit Leidenschaft betrieben hatte.
Sie bevorzugt architektonisch und rhythmisch gestaltete
Schmuckstücke in begrenzter Anzahl oder als Einzelstück.
Höchste Sensibilität, dichte natürliche Kuriosität
und Instinkt finden sich in den Stücken wieder. Sie spiegeln den
Hang der Modeschöpferin zum gefährlichen Leben wider, und
zwar auf einer Skala von leichter zu schwerer „Giftigkeit“. Olga
Kiwerski haucht den Stücken eine barocke Seele ein, reflektiert
mit ihnen die Gegenwart und legt in ihnen den Keim der Zukunft an.
Die neue Kollektion „EYE“ mit den aus der
Fassung geratenen Proportionen erzählte nun die Geschichte ihrer
Reise nach Indien. Ornamentale Pracht bot Zerstreuung, war eine
Einladung zum Träumen und versprach Zuversicht. Die Materialien
drückten starke Gefühle und eine ökologische Philosophie
aus: Gold- und Silberfäden, Lavasteine, Metall, Federn, Rosetten,
Kristalle, Leder, Papier, Labradorit, Onyx, alte Sariwildseide, Perlen,
Korallen, Keramik sowie Holz. Hinzu kamen neue Technologien wie
Audio-Player, „Articulated Light System“, USB-Stecker. Ocker und
Scharlachrot durchbrachen die graue, weiße oder silberfarbene
Monochromie der Halsketten. Über allem schwebte ein Ausspruch der
Schweizer Malerin und Dichterin Meret Oppenheim: „Freiheit wird uns
nicht gegeben, wir müssen sie uns nehmen.“ In dieser Saison
erschien die Trägerin als „triumphierende, edle Amazone mit
funkelnden Schutzwaffen“. Letztlich verstehen sich Olga Kiwerskis
Schmuckstücke nicht als bloße Accessoires, sondern als
eigenständige Skulpturen.