Das Rad muß nicht immer neu erfunden werden, lautet eine Binsenweisheit unter Ingenieuren und Technikern. Dies gilt ebenso für die Modebranche. Auch hier ist Altbewährtes nicht wegzudenken, so wenn sich Modeschöpfer für ihre Entwürfe aus früheren Stilepochen bedienen. Die geläufige Bezeichnung dafür lautet: „Retro-Look“.
Der englische Modeschöpfer Matthew
Williamson griff für seine Kollektion für den Herbst und
Winter 2014 in den reichhaltigen Fundus der 1970er Jahre. Mit den
Schlaghosen und knappen Jacken, bunt und glitzernd, ließ er die
Glam-Rock-Ära wiederaufleben. Mit den Schlaghosen wollte er
zugleich an den Tramp erinnern, der vom legendären Schauspieler
Charles Chaplin so eindringlich verkörpert worden war. Die Sterne
und Streifen in Verbindung mit den Farben Blau, Weiß und Rot auf
manchen Kleidungsstücken ähnelten zwar sehr der Flagge der
Vereinigten Staaten von Amerika, der Modeschöpfer gab aber zu
verstehen, daß darin keine politische Anspielung, geschweige denn
eine politische Botschaft, stecke.
Für die Kollektion „Ink Stone“ der
Marke „SHIATZY CHEN“ reichte der Griff weiter in die Vergangenheit
zurück. Pinsel, Tusche, Papier und Tintenstein, als die „vier
Schätze der Gelehrtenstudie“ bekannt, waren als Bestandteile der
chinesischen Kultur und Geschichte über Generationen hinweg
weitergegeben worden. So blicken die Chinesen auf fünftausend
Jahre zurück, denn bereits in der Jungsteinzeit hatten sie sich
damit befaßt, Steine zu schleifen und Materialien zu mischen, um
der Nachwelt Graphiken oder Texte zu hinterlassen. Der Tintenstein war
zur Zeit der Streitenden Reiche aufgekommen und diente mit seiner Form
sowie seinen Materialien und Farben nun als Inspiration für die
neue Kollektion; er gab ihr mit den Nuancen seiner Intensität,
Leichtigkeit und Feinheit gleichsam den Rhythmus vor. Die
Oberflächen waren seidig glatt und glänzend, während die
Schichten metallischer Körner durchschimmerten.
Die Silhouetten waren nach Maßgabe
der taiwanesischen Modeschöpferin Wang Chen Tsai-Hsia mit der
Box-Linie oder H-Linie schlank und fließend. Pastellrosa als
heller Farbton war lieblich und „lebendig wie Pfingstrosen“;
Moosgrün als dunkler Farbton wirkte dagegen geheimnisvoll. Schwarz
stand für den stolzen schwarzen Schwan, der so elegant wie eine
Seenlandschaft und so ruhig wie ein Berg in den Wolken ist; Schwarz
konnte geheimnisvoll wie eine tiefe Schlucht oder transparent wie ein
flacher Teich sein. Die Farbpalette umfaßte überdies
Magentarot, Aquamarinblau, Kalkweiß, Cremeweiß, Steingrau
und Tuscheschwarz. Bei den Materialien fanden sich Doppelwolle,
Satinwolle, zweitönige mit Wolle besetzte Spitze und
Organzastickerei. Blumenmotive sowie Satindrucke und Drucke auf
elastischen Stoffen kamen hinzu. Die Oberseiten der Schuhe waren
bestickt. Die Pumps hatten sportlich und elegant ausgeschnittene
Absätze; die Biker-Boots waren kniehoch. Bei den Handtaschen galt
das Formprinzip der Geometrie; Griffe und Schnallen waren aus Jade.
Geometrische Ausschnitte tauchten wieder bei Halsketten,
Armbändern und Broschen auf.