Spätestens seit der Etablierung der Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz Fashion Week BERLIN“ nimmt Berlin, zumindest was die Art und den Umfang der Modepräsentationen anbelangt, unter den Modestädten in der Bundesrepublik Deutschland den ersten Platz ein. Für die internationale Bedeutung besteht gleichwohl eine harte Konkurrenz zu den Modemetropolen Paris, Mailand und London.
Trotz aller Anstrengungen und positiven
Entwicklungen konnte Berlin den Rückstand zu den Modemetropolen
bisher nicht aufholen, denn es gibt weiterhin bedeutsame Unterschiede
zwischen den Modemetropolen Paris und Mailand einerseits und der
Modestadt Berlin andererseits. Ein solcher Unterschied besteht bei den
Ausmaßen der verschiedenen Modewochen wie der Anzahl der
Veranstaltungen und beteiligten Modemarken. Daneben kommt es auf die
Atmosphäre in den
Modewochen, mit anderen Worten die Ausstrahlung und Attraktivität
des Standortes, an. Den Stadtzentren von Paris und Mailand waren die
Modewochen anzusehen. Auf den Pariser Bürgersteigen wurden Plakate
aufgehängt und Standbilder aufgestellt, um auf das Ereignis
aufmerksam zu machen. Vor fast jeder Veranstaltungsstätte tauchten
Hostessen auf und verteilten Modezeitschriften an Gäste und
Passanten. Darüber hinaus traten vor dem Jardin des Tuileries,
worin ein Zelt für einige Modenschauen stand, Hostessen mit
Transparenten auf und „demonstrierten“ für die Mode: „2012 VOTEZ
POUR LA MODE“. Kurzum gesagt, vermittelte Paris den Eindruck: wir
mögen Mode und wir unterstützen das Modeschaffen
In Mailand stand in der
Fußgängerzone vor dem Gebäude der Handelskammer, wo das
Pressezentrum der Camera Nazionale della Moda Italiana untergebracht
war, ein Informationspavillon. Dort konnte sich jedermann nicht nur
über die Termine und Orte einzelner Veranstaltungen informieren,
sondern auch über zwei Großbildschirme etliche Modenschauen
live verfolgen. Von dort aus führte ein auf die Pflastersteine
geklebter roter Teppich als Wegweiser zum Palazzo Clerici, einer
wichtigen Veranstaltungsstätte. Zwei weitere Großbildschirme
auf stark frequentierten Plätzen in der Innenstadt ergänzten
das Informationsangebot. Auch wer nicht zu einer Modenschau der
Veranstaltungsreihe „Milano Moda Donna“ eingeladen war, brauchte auf
Modepräsentationen nicht zu verzichten. In der Nähe des Domes
stand ein Zelt, in dem täglich mehrere Modenschauen unter dem
Motto „MILAN FASHION DESIGN“ zu sehen waren. Demgegenüber wirkte
das „Mercedes-Benz Fashion Week BERLIN“-Zelt im Januar 2012 wieder
etwas vereinsamt. Um das Zelt herum herrschte eine Stimmung, die man
als „tote Hose“ beschreiben kann; schon ein paar Meter weiter weg wies
nichts mehr auf die Modewoche hin. So sieht Desinteresse oder gar
Ablehnung aus. Sogar das Brandenburger Tor als Touristenattraktion in
der Nähe vermochte dem nicht abzuhelfen. Im Juli 2012 wird das
Zelt voraussichtlich näher an der Siegessäule stehen und
damit weiter vom historischen Zentrum Berlins weg sein als bisher. Die
Akzente der Standortpolitik verschieben sich.
Der
kleine, aber feine Unterschied
Da heben sich Paris und Mailand, wo
Modeschöpfer wie berühmte Filmstars gefeiert werden,
wohltuend ab. Vor und nach den Modenschauen mit den international
bekannten Marken kommt es regelmäßig zu Massenaufläufen
vor den Veranstaltungsstätten. Viele Menschen, die sich für
Mode oder bloß das bunte Treiben interessieren, kommen zusammen,
um zu sehen oder gesehen zu werden, um zu photographieren oder
photographiert zu werden. Kleider, Hüte, Schuhe, Taschen, Schmuck,
Frisuren – es gibt nichts, was nicht das Interesse der Modeblogger,
Photographen und „Fashionfreaks“ weckt. Da offenbart sich echte
Modebegeisterung. In Berlin versteht man unter Stars etwas anderes. Der
für Berlin mittlerweile übliche Rummel um das inszenierte
Gedränge unzähliger C-Prominenter auf den Roten Teppichen ist
Paris und Mailand fremd. In Berlin scheint es nicht wirklich um die
Mode, sondern darum zu gehen, den Prominenten eine weitere
Auftrittsplattform zur Selbstvermarktung zu verschaffen und den
übrigen Gästen mit einem unterhaltsamen Spektakel ein
weiteres Freizeitvergnügen zu bereiten.
Nicht zu vernachlässigen sind die
historischen Orte und Gebäude, die das besondere Flair einer
Modenschau im besonderen und einer Modemetropole im allgemeinen
ausmachen. Zur Eröffnung der Veranstaltungsreihe „semaine des
créateurs de mode femme automne hiver 2012 2013“ stellte die
portugiesische Modeschöpferin Fátima Lopes am 28. Februar
2012 ihre neue Kollektion „A FLEUR DE PEAU“ im Hôtel National des
Invalides mit dem Musée de l’Armée vor. Während die
Modelle in den Kleidern zu Violoncellomusik über den
Parkettfußboden schritten, erinnerten die Wandfresken die
Zuschauer an wichtige militärische Siege des „Sonnenkönigs“
Ludwig XIV. Allemal war es erstaunlich, wie unbefangen die
Modeschöpfer mit der Geschichte umgingen.
Gleich mehrere Modenschauen waren unweit
einer Statue zu Ehren des Revolutionärs Georges Danton im Couvent
des Cordeliers, der in den Wirren der Französischen Revolution des
Jahres 1789 eine maßgebliche politische Rolle gespielt hatte und
heute zur École de Médecine der Université
René Descartes gehört, zu sehen. Der portugiesische
Modeschöpfer Luis Buchino hatte sich für seine Modenschau am
29. Februar 2012 den Salon d’honneur des Hotels „CERCLE NATIONAL DES
ARMÉES DE TERRE, DE MER ET DE L’AIR“ für
Militäroffiziere der Französischen Republik ausgesucht, ohne
sich an den ausgestellten Uniformen zu stören; in den Jahren 1906
bis 1908 hatte dort der spätere Marschall von Frankreich Joseph
Joffre als Kommandeur der 6. Infanteriedivision residiert.
Das ist
die Revolution!
Der in Paris arbeitende Modeschöpfer
Lutz Hülle zeigte am 1. März 2012 seine neue Kollektion im
Kulturzentrum „MAISON DES MÉTALLOS“, der ehemaligen Zentrale der
Metallurgengewerkschaft, dessen Innenhof den Internationalen Brigaden
des spanischen Bürgerkrieges gewidmet ist. Der oft genutzte Salon
impérial des Hotels „WESTIN“ ließ an die einstige
hegemoniale Stellung Frankreichs denken wie auch die einmal verwendete
Veranstaltungshalle „Salle Wagram“ an die siegreichen Schlachten des
Kaisers Napoleon I. Schauplatz der Modenschau des Pariser
Modeschöpfers Corrado de Biase aus Italien war am 28. Februar 2012
die Veranstaltungs- und Ausstellungshalle „Le Loft
Sévigné“. Die Modemesse „TRANOÏ FEMME FALL/WINTER
2012/2013“ wurde wie vormals unter dem Palais du Louvre veranstaltet.
In Mailand wurden neben dem Gebäude der Scuola Militare
Teuliè vor allem alte Palazzi wie der Palazzo Clerici und
Palazzo Serbelloni genutzt. Auch ergänzte ein Veranstaltungszelt
den Innenhof des Castello Sforzesco. Paris und Mailand können sich
eben einer zentralen Palastanlage erfreuen.
Bei der Art und Weise der
Modepräsentation gaben sich die Modeschöpfer und
Choreographen innovationsfreudig. Der indische Modeschöpfer Manish
Arora beschaffte seinen Modellen Gesellschaft. Graffiti-Künstler
verzierten am 1. März 2012 eine lange, weiße Wand der
Cité de la Mode et du Design in Paris, während die Modelle
davor seine neuen Kleider bis zur Vollendung des Bildwerkes
vorführten. Am gleichen Tage setzte die Pariser
Modeschöpferin Sharon Wauchob aus Irland im Museum der
Schönen Künste einen großen Spiegel anstatt einer
gewöhnlichen einfarbigen Wand mit Logo ein, was die Wirkung der
Modelle und Kleider steigerte.
Deutlich wird in Paris und Mailand die
zentrale Organisation der Veranstaltungen. Die in den offiziellen
Veranstaltungskalendern gelisteten Modenschauen sind terminlich
miteinander verkettet, um dem internationalen Fachpublikum die
Möglichkeit zu geben, die Modenschauen eines Tages hintereinander
zu sehen, ohne eine zu verpassen. So wirkt sich die Verspätung
einer Modenschau auf den Beginn der nachfolgenden Modenschauen aus. Die
Verspätung einer Modeschau kann etliche Gründe haben. Sie
kündigt sich an, wenn Modelle „auf dem letzten Drücker“
erscheinen und Hand in Hand mit ihren Betreuern an den wartenden
Gästen vorbei in den „Backstage“-Bereich rennen.
Es ist
nicht alles Gold, was glänzt
Dennoch war auswärts nicht alles
erfreulich. Um die vielen geladenen Gäste unterzubringen, teilen
die Veranstalter den verfügbaren Platz in die Bereiche „Sitting“
und „Standing“. Die Sitzplätze sind in der Regel für die
Einkäufer, Journalisten, wichtigsten Kunden und persönlichen
Gäste der Modeschöpfer vorgesehen; auf den Stehplätzen
kommen Modeblogger und sonstige Interessenten unter. Eine unangenehme
Folge des regen Interesses ist die Maßnahme, mehr Einladungen
auszusprechen, als Platz vorhanden ist. Dann können die Inhaber
von Sitzplatzkarten frohlocken, denn sie dürfen vor den Inhabern
der Stehplatzkarten eintreten. Für die Inhaber von Stehplatzkarten
ist es danach eine Glückssache, wieviel freier Raum noch
verfügbar ist und einen Zutritt ermöglicht.
Beispielsweise standen bei der Modenschau
mit der Mailänder Marke „KRIZIA“ am 24. Februar 2012 rund
dreißig geladene Gäste vor der verschlossenen Atelierpforte;
der Türsteher fertigte die fragenden, mit ihren Karten winkenden
Gäste brüsk ab: „It’s closed!“. Die Modenschau der Pariser
Modeschöpferinnen Sonia Rykiel und Nathalie Rykiel am 2. März
2012 im Jardin des Tuileries entging etwa zwanzig geladenen
Gästen. Der Zutritt zum Gelände der Botschaft des
Königreiches Spanien wegen der Modenschau der spanischen
Modeschöpferin Amaya Arzuaga am gleichen Tage blieb ungefähr
dreißig Personen verwehrt. Vor dem Gebäude drückten
zwei ältere Französinnen, die trotz Einladung wegen
Überfüllung abgewiesen worden waren, ihren Unmut über
die schlechte Organisation und die Bevorzugung spanischer Gäste
aus.
Besonders gastfreundlich und
kundenorientiert war das Sicherheitspersonal in Mailand beileibe nicht.
Oft war zu hören: „No speaking English!“ Dies bedeutete nicht das
Fehlen jeglicher Fremdsprachenkenntnisse. Vielmehr wurden die
Kenntnisse selektiv angewandt, je nachdem ob dem
Türsteher/Kontrolleur aus welchen Gründen auch immer die
jeweilige Nationalität des Gastes zusagte oder störte. So war
es vielfach unmöglich, einen Ansprechpartner für die Presse
vermittelt zu bekommen. Einmal sprachen zwei Mitarbeiter
schwarzafrikanischer Herkunft über ihren indigenen Vorgesetzten,
bei dem zwei Russinnen und ein Brite keine Chance auf eine Beachtung
ihres Anliegens hatten; demnach mochte er wohl keine Leute, die nicht
italienisch mit ihm sprachen. Das Personal in Paris erwies sich
demgegenüber als weltoffen, indem es sich stets darum
bemühte, einen sprachlich und fachlich kundigen Ansprechpartner
für die Gäste zu finden.
Bundesdeutsche
Modeschöpfer und
Marken in Paris und Mailand
Für die Modemetropolen Paris und
Mailand spricht aus der Sicht bundesdeutscher Modeschöpfer vieles.
Der wichtigste Grund für eine dortige Modepräsentation ist
die Gelegenheit, internationale Einkäufer und Fachjournalisten zu
erreichen, was in Berlin äußerst schwierig ist. Für den
internationalen Modemarkt ist die Bedeutung Berlins als Modestandort
einfach zu gering. Als Indikator mögen die international
anerkannten Modekritikerinnen Suzy Menkes und Anna Vintour dienen, die
bisher nur einmal beziehungsweise gar nicht nach Berlin kamen. Auf
Nachfrage hieß es dazu von Seiten der in München
ansässigen Allude Gesellschaft für Entwicklung und
Distribution von Modewaren mbH, deren Kollektionen früher in
Berlin vorgestellt worden waren, zur Modenschau im Grand Palais am 7.
März 2012:
„ALLUDE bleibt in Berlin mit besonderen
Events als fester Bestandteil der deutschen Modeelite vertreten.
Gezeigt wird in Paris, weil in der ‚Capitale de la mode‘
internationales Publikum erreicht wird und auch die Konzentration der
internationalen Presse eine andere ist. … ALLUDE ist in Paris in den
besten Stores vertreten und auch die französische Highend-Presse
mit Vogue, L’Officiel, Numero oder Madame Figaro feiert ‚la belle
Andrea‘ als Designerin. Die Fédération Française
de la Couture, die ALLUDE direkt in den offiziellen Kalender
aufgenommen hat, was keineswegs selbstverständlich ist, wird in
ZEIT ONLINE dazu zitiert: ‚Manche Firmen bewerben sich über viele
Jahre, bevor der Schneiderverband sie akzeptiert. Bei Allude klappte es
gleich beim ersten Anlauf.‘ … Diese Markenawareness wäre in Berlin
in dieser Form nicht möglich gewesen. Für die Entwicklung der
Marke war Paris daher der nächste folgerichtige Schritt.“
Ebenfalls in Paris zeigten die gemeinsam
in München arbeitenden Modeschöpfer Johnny Talbot und Adrian
Runhof, der in Paris wirkende Modeschöpfer Bernhard Willhelm aus
Ulm, der Frankfurter Modeschöpfer René Storck sowie die in
Giebelstadt tätigen Modeschöpfer Otto Drögsler und
Jörg Ehrlich mit ihrer Marke „ODEEH“ ihre neuen Kollektionen. An
dieser Stelle sei auch der in Kroatien geborene und in Bayern
aufgewachsene Pariser Modeschöpfer Damir Doma erwähnt. Den
Weg nach Mailand gingen die Macher der Münchener Marke „AIGNER“
und präsentierten dort am 24. Februar 2012 die neue Kollektion.
Der Drang nach Paris hält auch nach dem Ende der Modewoche an. Am
31. März 2012 wurde im 6. Arrondissement, dem Kulturviertel, der
erste Laden für die Marke „LIEBESKIND Berlin“ eröffnet, um
die Pariser mit Taschen, Schals, Schuhen und Gürteln aus Berlin zu
beglücken.
Der
Nachwuchs räumt auf
Ein besonderes Erlebnis war zu guter Letzt
die Modenschau des Pariser Modeschöpfers Paolo Corona. Fernab der
Masse der Einkäufer, Journalisten und Photographen räumte er
für einen kleinen, exklusiven Kreis von Gästen einfach sein
privates Appartement frei und ließ am 3. März 2012 die
Modelle durchs geräumige Wohnzimmer wandeln. Dadurch hatten die
Gäste mehr als sonst Zeit, die Kollektion in Augenschein zu
nehmen. Inspirationsquelle war Paolo Coronas sardinische Heimat, ein
Naturjuwel mit rebellischem Charakter. Die Kontraste der Landschaften
und Lichter flossen in die dezent-eleganten Kleider ein, bei denen
Dunkelblau und Rosé dominierten. Man darf auf die kommende
Saison gespannt sein.