Berlin, Mailand, Paris

Ein Vergleich dreier Modezentren

Der Palazzo Clerici in Mailand – Stätte vieler Modenschauen (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 6. April 2012

Spätestens seit der Etablierung der Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz Fashion Week BERLIN“ nimmt Berlin, zumindest was die Art und den Umfang der Modepräsentationen anbelangt, unter den Modestädten in der Bundesrepublik Deutschland den ersten Platz ein. Für die internationale Bedeutung besteht gleichwohl eine harte Konkurrenz zu den Modemetropolen Paris, Mailand und London.

Trotz aller Anstrengungen und positiven Entwicklungen konnte Berlin den Rückstand zu den Modemetropolen bisher nicht aufholen, denn es gibt weiterhin bedeutsame Unterschiede zwischen den Modemetropolen Paris und Mailand einerseits und der Modestadt Berlin andererseits. Ein solcher Unterschied besteht bei den Ausmaßen der verschiedenen Modewochen wie der Anzahl der Veranstaltungen und beteiligten Modemarken. Daneben kommt es auf die Atmosphäre in den Modewochen, mit anderen Worten die Ausstrahlung und Attraktivität des Standortes, an. Den Stadtzentren von Paris und Mailand waren die Modewochen anzusehen. Auf den Pariser Bürgersteigen wurden Plakate aufgehängt und Standbilder aufgestellt, um auf das Ereignis aufmerksam zu machen. Vor fast jeder Veranstaltungsstätte tauchten Hostessen auf und verteilten Modezeitschriften an Gäste und Passanten. Darüber hinaus traten vor dem Jardin des Tuileries, worin ein Zelt für einige Modenschauen stand, Hostessen mit Transparenten auf und „demonstrierten“ für die Mode: „2012 VOTEZ POUR LA MODE“. Kurzum gesagt, vermittelte Paris den Eindruck: wir mögen Mode und wir unterstützen das Modeschaffen

In Mailand stand in der Fußgängerzone vor dem Gebäude der Handelskammer, wo das Pressezentrum der Camera Nazionale della Moda Italiana untergebracht war, ein Informationspavillon. Dort konnte sich jedermann nicht nur über die Termine und Orte einzelner Veranstaltungen informieren, sondern auch über zwei Großbildschirme etliche Modenschauen live verfolgen. Von dort aus führte ein auf die Pflastersteine geklebter roter Teppich als Wegweiser zum Palazzo Clerici, einer wichtigen Veranstaltungsstätte. Zwei weitere Großbildschirme auf stark frequentierten Plätzen in der Innenstadt ergänzten das Informationsangebot. Auch wer nicht zu einer Modenschau der Veranstaltungsreihe „Milano Moda Donna“ eingeladen war, brauchte auf Modepräsentationen nicht zu verzichten. In der Nähe des Domes stand ein Zelt, in dem täglich mehrere Modenschauen unter dem Motto „MILAN FASHION DESIGN“ zu sehen waren. Demgegenüber wirkte das „Mercedes-Benz Fashion Week BERLIN“-Zelt im Januar 2012 wieder etwas vereinsamt. Um das Zelt herum herrschte eine Stimmung, die man als „tote Hose“ beschreiben kann; schon ein paar Meter weiter weg wies nichts mehr auf die Modewoche hin. So sieht Desinteresse oder gar Ablehnung aus. Sogar das Brandenburger Tor als Touristenattraktion in der Nähe vermochte dem nicht abzuhelfen. Im Juli 2012 wird das Zelt voraussichtlich näher an der Siegessäule stehen und damit weiter vom historischen Zentrum Berlins weg sein als bisher. Die Akzente der Standortpolitik verschieben sich.

Der kleine, aber feine Unterschied

Da heben sich Paris und Mailand, wo Modeschöpfer wie berühmte Filmstars gefeiert werden, wohltuend ab. Vor und nach den Modenschauen mit den international bekannten Marken kommt es regelmäßig zu Massenaufläufen vor den Veranstaltungsstätten. Viele Menschen, die sich für Mode oder bloß das bunte Treiben interessieren, kommen zusammen, um zu sehen oder gesehen zu werden, um zu photographieren oder photographiert zu werden. Kleider, Hüte, Schuhe, Taschen, Schmuck, Frisuren – es gibt nichts, was nicht das Interesse der Modeblogger, Photographen und „Fashionfreaks“ weckt. Da offenbart sich echte Modebegeisterung. In Berlin versteht man unter Stars etwas anderes. Der für Berlin mittlerweile übliche Rummel um das inszenierte Gedränge unzähliger C-Prominenter auf den Roten Teppichen ist Paris und Mailand fremd. In Berlin scheint es nicht wirklich um die Mode, sondern darum zu gehen, den Prominenten eine weitere Auftrittsplattform zur Selbstvermarktung zu verschaffen und den übrigen Gästen mit einem unterhaltsamen Spektakel ein weiteres Freizeitvergnügen zu bereiten.

Nicht zu vernachlässigen sind die historischen Orte und Gebäude, die das besondere Flair einer Modenschau im besonderen und einer Modemetropole im allgemeinen ausmachen. Zur Eröffnung der Veranstaltungsreihe „semaine des créateurs de mode femme automne hiver 2012 2013“ stellte die portugiesische Modeschöpferin Fátima Lopes am 28. Februar 2012 ihre neue Kollektion „A FLEUR DE PEAU“ im Hôtel National des Invalides mit dem Musée de l’Armée vor. Während die Modelle in den Kleidern zu Violoncellomusik über den Parkettfußboden schritten, erinnerten die Wandfresken die Zuschauer an wichtige militärische Siege des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. Allemal war es erstaunlich, wie unbefangen die Modeschöpfer mit der Geschichte umgingen.

Gleich mehrere Modenschauen waren unweit einer Statue zu Ehren des Revolutionärs Georges Danton im Couvent des Cordeliers, der in den Wirren der Französischen Revolution des Jahres 1789 eine maßgebliche politische Rolle gespielt hatte und heute zur École de Médecine der Université René Descartes gehört, zu sehen. Der portugiesische Modeschöpfer Luis Buchino hatte sich für seine Modenschau am 29. Februar 2012 den Salon d’honneur des Hotels „CERCLE NATIONAL DES ARMÉES DE TERRE, DE MER ET DE L’AIR“ für Militäroffiziere der Französischen Republik ausgesucht, ohne sich an den ausgestellten Uniformen zu stören; in den Jahren 1906 bis 1908 hatte dort der spätere Marschall von Frankreich Joseph Joffre als Kommandeur der 6. Infanteriedivision residiert.

Das ist die Revolution!

Der in Paris arbeitende Modeschöpfer Lutz Hülle zeigte am 1. März 2012 seine neue Kollektion im Kulturzentrum „MAISON DES MÉTALLOS“, der ehemaligen Zentrale der Metallurgengewerkschaft, dessen Innenhof den Internationalen Brigaden des spanischen Bürgerkrieges gewidmet ist. Der oft genutzte Salon impérial des Hotels „WESTIN“ ließ an die einstige hegemoniale Stellung Frankreichs denken wie auch die einmal verwendete Veranstaltungshalle „Salle Wagram“ an die siegreichen Schlachten des Kaisers Napoleon I. Schauplatz der Modenschau des Pariser Modeschöpfers Corrado de Biase aus Italien war am 28. Februar 2012 die Veranstaltungs- und Ausstellungshalle „Le Loft Sévigné“. Die Modemesse „TRANOÏ FEMME FALL/WINTER 2012/2013“ wurde wie vormals unter dem Palais du Louvre veranstaltet. In Mailand wurden neben dem Gebäude der Scuola Militare Teuliè vor allem alte Palazzi wie der Palazzo Clerici und Palazzo Serbelloni genutzt. Auch ergänzte ein Veranstaltungszelt den Innenhof des Castello Sforzesco. Paris und Mailand können sich eben einer zentralen Palastanlage erfreuen.

Bei der Art und Weise der Modepräsentation gaben sich die Modeschöpfer und Choreographen innovationsfreudig. Der indische Modeschöpfer Manish Arora beschaffte seinen Modellen Gesellschaft. Graffiti-Künstler verzierten am 1. März 2012 eine lange, weiße Wand der Cité de la Mode et du Design in Paris, während die Modelle davor seine neuen Kleider bis zur Vollendung des Bildwerkes vorführten. Am gleichen Tage setzte die Pariser Modeschöpferin Sharon Wauchob aus Irland im Museum der Schönen Künste einen großen Spiegel anstatt einer gewöhnlichen einfarbigen Wand mit Logo ein, was die Wirkung der Modelle und Kleider steigerte.

Deutlich wird in Paris und Mailand die zentrale Organisation der Veranstaltungen. Die in den offiziellen Veranstaltungskalendern gelisteten Modenschauen sind terminlich miteinander verkettet, um dem internationalen Fachpublikum die Möglichkeit zu geben, die Modenschauen eines Tages hintereinander zu sehen, ohne eine zu verpassen. So wirkt sich die Verspätung einer Modenschau auf den Beginn der nachfolgenden Modenschauen aus. Die Verspätung einer Modeschau kann etliche Gründe haben. Sie kündigt sich an, wenn Modelle „auf dem letzten Drücker“ erscheinen und Hand in Hand mit ihren Betreuern an den wartenden Gästen vorbei in den „Backstage“-Bereich rennen.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Dennoch war auswärts nicht alles erfreulich. Um die vielen geladenen Gäste unterzubringen, teilen die Veranstalter den verfügbaren Platz in die Bereiche „Sitting“ und „Standing“. Die Sitzplätze sind in der Regel für die Einkäufer, Journalisten, wichtigsten Kunden und persönlichen Gäste der Modeschöpfer vorgesehen; auf den Stehplätzen kommen Modeblogger und sonstige Interessenten unter. Eine unangenehme Folge des regen Interesses ist die Maßnahme, mehr Einladungen auszusprechen, als Platz vorhanden ist. Dann können die Inhaber von Sitzplatzkarten frohlocken, denn sie dürfen vor den Inhabern der Stehplatzkarten eintreten. Für die Inhaber von Stehplatzkarten ist es danach eine Glückssache, wieviel freier Raum noch verfügbar ist und einen Zutritt ermöglicht.

Beispielsweise standen bei der Modenschau mit der Mailänder Marke „KRIZIA“ am 24. Februar 2012 rund dreißig geladene Gäste vor der verschlossenen Atelierpforte; der Türsteher fertigte die fragenden, mit ihren Karten winkenden Gäste brüsk ab: „It’s closed!“. Die Modenschau der Pariser Modeschöpferinnen Sonia Rykiel und Nathalie Rykiel am 2. März 2012 im Jardin des Tuileries entging etwa zwanzig geladenen Gästen. Der Zutritt zum Gelände der Botschaft des Königreiches Spanien wegen der Modenschau der spanischen Modeschöpferin Amaya Arzuaga am gleichen Tage blieb ungefähr dreißig Personen verwehrt. Vor dem Gebäude drückten zwei ältere Französinnen, die trotz Einladung wegen Überfüllung abgewiesen worden waren, ihren Unmut über die schlechte Organisation und die Bevorzugung spanischer Gäste aus.

Besonders gastfreundlich und kundenorientiert war das Sicherheitspersonal in Mailand beileibe nicht. Oft war zu hören: „No speaking English!“ Dies bedeutete nicht das Fehlen jeglicher Fremdsprachenkenntnisse. Vielmehr wurden die Kenntnisse selektiv angewandt, je nachdem ob dem Türsteher/Kontrolleur aus welchen Gründen auch immer die jeweilige Nationalität des Gastes zusagte oder störte. So war es vielfach unmöglich, einen Ansprechpartner für die Presse vermittelt zu bekommen. Einmal sprachen zwei Mitarbeiter schwarzafrikanischer Herkunft über ihren indigenen Vorgesetzten, bei dem zwei Russinnen und ein Brite keine Chance auf eine Beachtung ihres Anliegens hatten; demnach mochte er wohl keine Leute, die nicht italienisch mit ihm sprachen. Das Personal in Paris erwies sich demgegenüber als weltoffen, indem es sich stets darum bemühte, einen sprachlich und fachlich kundigen Ansprechpartner für die Gäste zu finden.

Bundesdeutsche Modeschöpfer und Marken in Paris und Mailand

Für die Modemetropolen Paris und Mailand spricht aus der Sicht bundesdeutscher Modeschöpfer vieles. Der wichtigste Grund für eine dortige Modepräsentation ist die Gelegenheit, internationale Einkäufer und Fachjournalisten zu erreichen, was in Berlin äußerst schwierig ist. Für den internationalen Modemarkt ist die Bedeutung Berlins als Modestandort einfach zu gering. Als Indikator mögen die international anerkannten Modekritikerinnen Suzy Menkes und Anna Vintour dienen, die bisher nur einmal beziehungsweise gar nicht nach Berlin kamen. Auf Nachfrage hieß es dazu von Seiten der in München ansässigen Allude Gesellschaft für Entwicklung und Distribution von Modewaren mbH, deren Kollektionen früher in Berlin vorgestellt worden waren, zur Modenschau im Grand Palais am 7. März 2012:

„ALLUDE bleibt in Berlin mit besonderen Events als fester Bestandteil der deutschen Modeelite vertreten. Gezeigt wird in Paris, weil in der ‚Capitale de la mode‘ internationales Publikum erreicht wird und auch die Konzentration der internationalen Presse eine andere ist. … ALLUDE ist in Paris in den besten Stores vertreten und auch die französische Highend-Presse mit Vogue, L’Officiel, Numero oder Madame Figaro feiert ‚la belle Andrea‘ als Designerin. Die Fédération Française de la Couture, die ALLUDE direkt in den offiziellen Kalender aufgenommen hat, was keineswegs selbstverständlich ist, wird in ZEIT ONLINE dazu zitiert: ‚Manche Firmen bewerben sich über viele Jahre, bevor der Schneiderverband sie akzeptiert. Bei Allude klappte es gleich beim ersten Anlauf.‘ … Diese Markenawareness wäre in Berlin in dieser Form nicht möglich gewesen. Für die Entwicklung der Marke war Paris daher der nächste folgerichtige Schritt.“

Ebenfalls in Paris zeigten die gemeinsam in München arbeitenden Modeschöpfer Johnny Talbot und Adrian Runhof, der in Paris wirkende Modeschöpfer Bernhard Willhelm aus Ulm, der Frankfurter Modeschöpfer René Storck sowie die in Giebelstadt tätigen Modeschöpfer Otto Drögsler und Jörg Ehrlich mit ihrer Marke „ODEEH“ ihre neuen Kollektionen. An dieser Stelle sei auch der in Kroatien geborene und in Bayern aufgewachsene Pariser Modeschöpfer Damir Doma erwähnt. Den Weg nach Mailand gingen die Macher der Münchener Marke „AIGNER“ und präsentierten dort am 24. Februar 2012 die neue Kollektion. Der Drang nach Paris hält auch nach dem Ende der Modewoche an. Am 31. März 2012 wurde im 6. Arrondissement, dem Kulturviertel, der erste Laden für die Marke „LIEBESKIND Berlin“ eröffnet, um die Pariser mit Taschen, Schals, Schuhen und Gürteln aus Berlin zu beglücken.

Der Nachwuchs räumt auf

Ein besonderes Erlebnis war zu guter Letzt die Modenschau des Pariser Modeschöpfers Paolo Corona. Fernab der Masse der Einkäufer, Journalisten und Photographen räumte er für einen kleinen, exklusiven Kreis von Gästen einfach sein privates Appartement frei und ließ am 3. März 2012 die Modelle durchs geräumige Wohnzimmer wandeln. Dadurch hatten die Gäste mehr als sonst Zeit, die Kollektion in Augenschein zu nehmen. Inspirationsquelle war Paolo Coronas sardinische Heimat, ein Naturjuwel mit rebellischem Charakter. Die Kontraste der Landschaften und Lichter flossen in die dezent-eleganten Kleider ein, bei denen Dunkelblau und Rosé dominierten. Man darf auf die kommende Saison gespannt sein.


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