Mode und Menschlichkeit

Der Nachwuchs macht die „grüne“ Mode bunt

Glücklich – die Preisträger Karlotta Wilde, Ewen Gur und Eleonore von Schwanenflügel (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 1. Februar 2012
Die ökologische Mode ist längst aus ihrem Nischendasein befreit. Sie hat heute nichts mehr mit Tristesse, Einfachheit und Langweiligkeit zu tun.

Um die Modegestaltung im ökologischen Sinne zu forcieren, hatte die Hess Natur-Textilien GmbH im Jahre 2010 den Preis „Humanity in Fashion Award“ ins Leben gerufen. Der Preis für eine „natürliche Kleiderkultur“ wird seither einmal jährlich vergeben. Der Wettbewerb richtet sich an den Nachwuchs unter den Modeschöpfern, die nachhaltige Mode entwerfen. Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur eine die Umwelt und die Gesundheit der Menschen schonende Herstellungsweise, sondern auch eine Herstellung der Kleidung unter fairen Arbeitsbedingungen. So soll der Konflikt zwischen der Schnellebigkeit der Modewelt und der geforderten Langlebigkeit einer fairen Mode gelöst werden.

Eine Finalistin des Jahres 2012 war die litauische Modeschöpferin Agne Biskyte, Absolventin der Vilnius Art Academy; ihre Wettbewerbskollektion „four seasons“ bestand aus reinen Strickentwürfen mit einer „Vielzahl an Trage- und Stylingvarianten“. Sandra Goldmann, Studentin der Fachhochschule Bielefeld, bewarb sich mit der Kollektion „Hinschauen“, die sich besonders mit ökologisch gerechten Färbetechniken auseinandersetzte; ihre Kollektion zeigte eine „spannende Transformation von Basiskleidungsstücken zu neuen Silhouetten, Volumina und Oberflächen“. Zur Wettbewerbskollektion „Hutton Queen“ hatte den Berliner Modeschöpfer Willem Gremliza, Absolventen der Universität der Künste Berlin, dem es um die Wertschätzung körperlicher Reife als charakterlichen Luxus geht, das von Annie Leibovitz abgelichtete Modell Lauren Hutton inspiriert.

Am 18. Januar 2012 wurde in der teilweise rekonstruierten Berliner Bauakademie im feierlichen Rahmen die Entscheidung der Jury bekanntgegeben. Über das Preisgeld von 25.000 Euro durfte sich Sandra Goldmann freuen. Die Jury erkannte Referenzen an den verstorbenen Modeschöpfer Alexander McQueen in der „sehr experimentellen Installation“; Sandra Goldmann zaubere mit ökologischen Färbetechniken die „schönsten und wildesten Muster“ auf Kleidung. Der Geschäftsführer der Hess Natur-Textilien GmbH Wolf Lüdge meinte zur Preisvergabe: „Wahre Schönheit liegt in der Balance von trendbestimmter Mode und Nachhaltigkeit, von Design und Verantwortung … In diesem Jahr steht das Thema ‚reine Farben‘ im Mittelpunkt. Der eigentliche Schwerpunkt liegt jedoch auf den Entwürfen, die eine moderne, positive Haltung und Lebensweise widerspiegeln sollen: menschlich, zeitlos, vielseitig, nachhaltig und verantwortungsbewusst. Darin sehen wir die Zukunft der Mode.“

Die Geisteshaltung, dem natürlichen Altern Respekt entgegenzubringen, blieb nicht auf die Preisvergabe beschränkt. Die Annahme angesichts der vielen jugendlichen Modelle auf den Laufstegen, in der Werbung und in den Modezeitschriften, in der Modebranche herrsche ein Jugendlichkeitswahn erweist sich beim genauen Hinsehen als Klischee. Beispielsweise setzte die Mainzer Modeschöpferin Anja Gockel mit ihrer Modenschau am 20. Januar 2012 ein Zeichen, indem sie das Urgestein unter den Modellen, Vera Gräfin von Lehndorff (Veruschka), gleich mehrmals über den Laufsteg laufen ließ. Dabei beeindruckte die berühmte 72jährige Veruschka mit ihrer Persönlichkeit und stellte manch junges Modell ohne Ausdruckskraft und Lebensgeschichte in den Schatten.

Noch mehr Nachwuchsförderung

Auch abseits der „grünen Mode“ gilt es den Nachwuchs zu fördern und die Modestadt Berlin zu stärken. Dem widmen sich Anita Tillmann und Norbert Tillmann, die als Geschäftsführer der PREMIUM Exhibitions II GmbH regelmäßig die Modemesse „PREMIUM INTERNATIONAL FASHION TRADE SHOW“ ausrichten. In Vorfreude auf die Veranstaltungen der Berliner Modewoche vom 17. Januar 2012 bis zum 22. Januar 2012 trafen sich am 11. Januar 2012 die Sieger des Wettbewerbes „PREMIUM YOUNG TALENTS AWARD“ auf der Veranstaltung „PREMIUM YOUNG TALENTS SHOWCASE“. Dazu hatte der deutsch-französische Künstler Ewen Gur, der Gewinner des Preises „PREMIUM WINDOW DRESSER AWARD 2011“, zwei Schaufenster des Berliner Warenhauses „GALERIES Lafayette“ mit den Kleidern und Accessoires der Preisträger dekoriert.

In der Kategorie „Womenswear“ hatte die Berliner Modeschöpferin Karlotta Wilde die Jury mit ihrem Markenzeichen überzeugt: „Kontraste. Hart und weich, transparent und dicht, steif und fließend.“ In der Kategorie „Menswear“ hatte der Schweizer Modeschöpfer Marco Steiner mit der Marke „MARC STONE“ gewonnen; seine Kollektionen zeichneten sich durch eine „Auseinandersetzung mit Themen aus Kunst, Film und Musik“ aus. In der Kategorie „Accessoires“ waren die Berliner Modeschöpferinnen Eleonore von Schwanenflügel und Stephanie Pupke, die sich im Oktober 2011 mit ihrer ersten Prêt-à-Porter-Kollektion auf den Schal als Accessoire spezialisiert gehabt hatten, erfolgreich gewesen; die Veranstalterin konstatierte: „Berliner Rigorosität meets Pariser Eleganz“.

Am 17. Januar 2012 stellten Anita Tillmann und Norbert Tillmann zusammen mit dem Berliner Modeschöpfer Michael Michalsky auf der Veranstaltung „PREMIUM YOUNG DESIGNERS AWARD“ im Modeladen „F95“ die neuen Preisträger vor: in der Kategorie „Womenswear“ die Berliner Modeschöpferinnen Sarah Büren und Sonja Hodzode mit ihrer Marke „blame“, in der Kategorie „Menswear“ der polnische Modeschöpfer Łukasz Stachowicz mit seiner Marke „Lamperia“ sowie in der Kategorie „Accessoires“ die Berliner Modeschöpferinnen Ann-Kathrin Carstensen und Ana Nuria Schmidt mit ihrer Marke „RITA IN PALMA“. Die Preisträger durften sich über jeweils einen eigenen Stand auf der vom 18. Januar 2012 bis zum 20. Januar 2012 dauernden Modemesse auf dem benachbarten Messegelände wie auch über die Aufnahme ihrer Kollektion ins Sortiment des Ladens freuen.

Auch die Berliner Hochschulen beteiligen sich

Ebenfalls am 17. Januar 2012 eröffnete die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin unter dem Motto „NUDE“ für fünf Tage einen „Pop-Up Shop“. Ein Raum des Gebäudekomplexes „Hackesches Quartier“ war der Ort, wo einige ihrer ehemaligen Absolventen und nunmehrigen Modeschöpfer wie unter anderem Vladimir Karaleev Kleider ihrer eigenen Marken präsentieren und am letzten Tage auch verkaufen konnten.

Ein Beitrag zur Völkerverständigung war die Veranstaltung „Tradition for Fashion“ im Kulturzentrum „Podewil“ am 18. Januar 2012. Für dieses Projekt hatten sich Studenten der Warschauer Kunstakademie (ASP) und Studenten der ESMOD Berlin Internationale Kunsthochschule für Mode unter der künstlerischen Leitung des Modeschöpfers und Dozenten an der ASP Gwen van den Eijnde erstmals zusammengetan: „Warschau und Berlin sind Zentren kreativer Ressourcen und moderner, sich rasant entwickelnder Urbanität, Mode und Design sind dabei ein wichtiges Identitätsmerkmal.“ Eine gemeinsame Reise in das polnische Suwalkenland, die Arbeit mit den dortigen Handwerkern sowie das Kennenlernen der reichen polnischen Tradition, der herkömmlichen Techniken der Stoffverarbeitung und ihre Übertragung in ein modernes Kleidungsstück hatten das Projekt geprägt. Darüber hinaus eröffnete ein „ESMOD“-Kleid die Modenschau mit der Marke „Laurèl“ am 19. Januar 2012.

Fremde Kulturen als Inspirationsquelle

Mode ist nicht bloße Oberflächlichkeit; sie kann Inhalte vermitteln. Wenn sich Modeschöpfer mit verschiedenen nationalen Kulturtraditionen auseinandersetzen und in ihre Entwürfe einfließen lassen, kann die Modepräsentation dann gegenüber dem Publikum – vornehmlich auf visuellem Wege – einen Kulturaustausch anstoßen, der womöglich nachhaltiger ist, als die meisten trockenen Reden bei Staatsbesuchen und Festakten. Die kulturelle Vielfalt des Ostseeraumes repräsentierten auf der Modenschau „BALTIC FASHION CATWALK 2012“ am 20. Januar 2012 die schwedische Modeschöpferin Elin Engström, der polnische Modeschöpfer Gregor Gonsior, die estnische Modeschöpferin Lilli Jahilo und die lettische Modeschöpferin Alise Trautmane. Die Modenschau „Romanian Designers“ am 21. Januar 2012 war Modeschöpfern aus Rumänien vorbehalten, nämlich Lucian Broscatean, Lena Criveanu und Zarug. Orientalisches Flair verbreiteten am 21. Januar 2012 die indischen Modeschöpfer Aneeth Arora und Kallol Datta auf der Modenschau „Indian Designers“.

Fremde Kulturen brachten den Besuchern auch die etablierten Modeschöpfer nahe. Einen Höhepunkt bildete am 19. Januar 2012 die Modenschau mit der Kollektion „DAMOI“ des Modeschöpfers Guido Maria Kretschmer aus Münster in Westfalen. Der Name der neuen Kollektion war Programm: eine von russischen und fernöstlichen Momenten geprägte Reise „nach Hause“ mit der Transsibirischen Eisenbahn. Das Interesse war demgemäß groß, was vor der Laufstegvorführung ein Blick in den „Backstage“-Bereich des Zeltes der Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz Fashion Week BERLIN“ zeigte. Inmitten der regen Betriebsamkeit ob aller Vorbereitungen wurde Guido Maria Kretschmer nicht müde, die Fragen der vielen Journalisten und sonstigen Gäste zur Inspiration für seine Entwürfe zu beantworten. Eine Besucherin zeigte sich nachher ein wenig enttäuscht von den winterlichen Grauschattierungen der Abend- und Cocktailkleider; nach ihrer Ansicht habe Guido Maria Kretschmer die Farbvielfalt, die das „Asien-Thema“ auch für eine Herbst-/Winter-Kollektion biete, leider nicht voll ausgeschöpft. Das Ende der Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz Fashion Week BERLIN“ markierte am 21. Januar 2012 die Modenschau mit der dänischen Marke „noir“.

Neue Talente, andere Präsentationsformen

Zu den aufstrebenden Berliner Marken zählt die Marke „majaco“, hinter der die Modeschöpferinnen Anna Franke und Janine Weber stehen. Sie hatten sich die Veranstaltungsstätte „KARLSSON“ in der Nähe des Gendarmenmarktes ausgesucht, um am 19. Januar 2012 neben ihrer ersten Brautmodenkollektion „WHITE“ ihre an die „Anmut einer jungen Jane Birkin und dem zurückhaltendem Charme Natalie Portmans“ erinnernde Herbst-/Winter-Kollektion vorzustellen. Die neue Kollektion der Berliner Modeschöpferin Nadine Miyahara war am 18. Januar 2012 im Clubrestaurant „FELIX“ zu sehen. Doch derjenige, der seinen interessierten Blick nur auf den Laufsteg, also das Ergebnis des mühsamen Modeschaffens, richtet, verkennt, welchen organisatorischen Herausforderungen sich gerade junge Modeschöpfer für eine gelungene Modepräsentation stellen müssen. Hier offenbarte ein Blick in den „Backstage“-Bereich, mit wieviel Engagement Nadine Miyahara, ihre Geschäftspartnerin Eva Lotte Brüdersdorf und deren Praktikant Dominik Steinmetz die Sache meisterten.

Anders als die herkömmliche Laufstegschau stellt die Präsentationsform der Installation besonders für junge Modeschöpfer eine kostengünstige Alternative zur Vorstellung ihrer neuen Kollektionen dar. Das Zelt der Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz Fashion Week BERLIN“ war dazu zum zweiten Male mit einem Studio ausgestattet. Es wurde unter anderem von den Berliner Modeschöpferinnen Yujia Zhai-Petrow für ihre Marke „1913Berlin cashmere by Yujia“, Nicole Roscher für ihre Marke „VON BARDONITZ“ und Sissi Goetze für ihre gleichnamige Marke genutzt. Nach der eindrucksvollen Inszenierung mit den Kaffeehausstühlen in der letzten Saison wurde nun die neue Inszenierung der in Berlin wirkenden Modeschöpfer Jen Gilpin und Kyle Callanan für ihre Marke „DSTM DONT SHOOT THE MESSENGERS“ mit besonderer Spannung erwartet. Die Besucher wurden nicht enttäuscht. Die Modelle in den vorwiegend schwarzen Kleidern aus Leder und Seide standen regungslos auf den ringförmig angeordneten Podesten und wechselten gleichzeitig zu festgelegten Zeitpunkten zu den jeweils nächsten Podesten – Stillstand und Bewegung als beeindruckendes Wechselspiel zu einer wie ein monotones, doch zugleich präzises Uhrwerk ablaufenden Musik. Der polnische Modeschöpfer Mariusz Przybylski hatte sich hingegen auswärts, und zwar im Hotel „ADLON“, einquartiert, wo auf das Publikum keine lebenden Modelle, sondern Schaufensterpuppen warteten.

Mode, Respekt, Gleichberechtigung und Integration

Mit dem Ende der Berliner Modewoche hörte das Modeschaffen nicht auf. Im Rahmen des Nachhaltigkeitsprojektes „Respekt“ entwarf und fertigte Jeanette Plesse, Studentin im fünften Semester an der MEDIADESIGN HOCHSCHULE FÜR DESIGN UND INFORMATIK GMBH, eine Herrenkollektion aus mit dem GOTS-Siegel zertifizierten Materialien unter dem türkischen Motto „Tesçhek kür ederim“, was „Danke“ bedeutet. Dahinter stand der Gedanke der Gleichberechtigung von Männern und Frauen gleichermaßen, insbesondere das Nachdenken über den langen und mühsamen Weg von der Frauenbewegung während der Französischen Revolution über das Frauenwahlrecht und die zivilrechtliche Gleichberechtigung bis heute: „Frauen mussten sich den Respekt der Männer hart erkämpfen und schafften dies mit viel Kraft und Engagement.“ Insofern waren in der Kollektion männliche Elemente wie der Herrenanzug und traditionelle Schnittformen sowie weibliche Elemente wie die Häkeltechnik vereint. Für den weiblichen Aspekt stand der Studentin eine in der Bundesrepublik Deutschland lebende, nach eigener Einschätzung integrierte türkische Familie hilfreich zur Seite, denn die Mutter beherrschte geschickt die Handarbeit des Häkelns, was das türkische Motto erklärt.


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